Hoffnungsträger. Späte Aphorismen und ein Entlassungspapier aus dem Dreißigjährigen Krieg. (2006)
„Es gibt die große und die kleine Unsterblichkeit, d.h. die Revokation des Todes durch das Andenken der Nachwelt und sein Unterlaufen über den multiplen Exitus. Totgesagte leben länger …“ – Ulrich Horstmann (1949-2004) hat bisher drei Bände mit Aphorismen veröffentlicht. „Hoffnungsträger“ ist seine erste posthume Publikation.
Hoffnungsträger. Späte Aphorismen und ein Entlassungspapier aus dem Dreißigjährigen Krieg. Verlag Johannes G. Hoof, Warendorf 2006.
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Pressestimmen
„Hoffnungsträger“ verlängert die Kette der literarischen Leistungserbringung lediglich um einige Glieder, anstatt sich über die früheren Aphorismenbände „Hirnschlag“ (1984), „Infernodrom“ (1994) und „Einfallstor“ (1998) hinauszuhangeln. Die melancholisierenden Mauersegler, der heruntergekommene Literaturbetrieb, die stille Bierseligkeit, der nonchalante Brückenschlag vom frühzeitlichen Hominoiden zu Handy und HDTV, die kulturkritisch inspirierte Sehnsucht nach dem 19. Jahrhundert – „Wer fernsieht, verpaßt die Glühwürmchen“ –, das alles konnte man schon auf sehr ähnliche Weise lesen. Während der Kuli übers Papier gleitet, ist sein Meister zu seinem eigenen Kuli geworden und trägt sich das Gepäck nach. (…) Viele der „Hoffnungsträger“-Aphorismen sprechen von einem Verblassen, Verhallen und Verkommen. Vom „Rückgabedatum“ der Bücher ist die Rede – und des Lesers, der sie aufschlägt. Alles, was einem während dieses fortgesetzten ‚Versackens‘ noch bleibt, ist, mit einem Streichholz die verbleibende Profiltiefe zu messen. Das ist die Zeit der ‚weißen‘ Melancholie, einer Art zur Ruhe gekommener Enttäuschung, wie sie Horstmann schon in „Der lange Schatten der Melancholie“ (1985) beschreibt. Ohne die aufblitzende Selbstironie, die das Projekt posthumen Publizierens als Spiegelgefecht zum Zwecke der literarischen Angstabwehr entlarvt, aber kommt auch sie nicht aus: „Die Verzweifelung ist sozial und für jedermann zu haben. Das schmerzliche Lächeln der Melancholie dagegen besteht auf einer Kreditkartennummer.“
Frank Müller: Posthumes Publizieren. Wie sich Ulrich Horstmann als Schriftsteller unsterblich macht. In: literaturkritik.de, 8. Jahrgang, Nr. 11, November 2006, S. 92-95. (Zu: „Hoffnungsträger“)
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Ulrich Horstmann lebt. Sein soeben erschienener Aphorismusband beweist es. Doch nein, er ist tot. Auf dem Buchrücken von „Hoffungsträger. Späte Aphorismen und ein Entlassungspapier aus dem Dreißigjährigen Krieg“ lesen wir schwarz auf weiß: Dies sei Horstmanns „erste posthume Publikation“. „Ist Horstmann wirklich tot?“, fragte eine besorgte Stimme im Gästebuch der Horstmannschen Homepage. Reingefallen!, möchte man spötteln. Denn der Autor greift hier, wie auch früher schon, zur selbstironischen Kontrafaktur. Soll es sich nicht schon bei „Konservatorium“ (1995) um eine Sammlung nachgelassener Schriften Horstmanns gehandelt haben? Und zeigt nicht schon „Picknick am Schlagfluß“, Horstmanns letzter Gedichtband aus dem Jahre 2005, einen „ausgemusterten Literaten kurz vor der Sperrstunde“, wie in einer Kritik zu lesen war. In „Hoffnungsträger“ wird die Schraube nun eine Drehung weiter angezogen. In Wirklichkeit steht der Autor aus dem vermeintlichen Schattenreich quicklebendiger denn je vor uns. Doch warum das ganze Versteck- und Verwirrspiel? In „Rede über das Ausgeliefertsein und seine Hirngespinste“ im Anhang von „Hoffnungsträger“ klärt uns Horstmann darüber auf, warum er sich literarisch das Leben genommen hat. Es hat mit der Missachtung seiner Werke durch den gegenwärtigen Literatur- und Verlagsbetrieb zu tun. „Muss ich mich eigentlich selbst ans Messer liefern, damit ich auch in Zukunft geschnitten werde?“ fragt Horstmann rhetorisch, um auf das von ihm so geschätzte Spiel mit Masken und Pseudonymen (wie sein literarisches Alter Ego Klaus Steintal) auf die Spitze zu treiben. Wenn andere ihn für tot erklären, könne er dies auch gleich selbst tun. Und aus der Not eine Tugend machen. Lässt es sich nicht als Aussteiger viel besser spotten und lästern, als wenn man selbst Teil eines Kulturbetriebs ist, dem es, so Horstmann, mehr um sich selbst als ums eigentliche Metier geht? (…) In seinem vierten Aphorismusband (…) bietet Horstmann zwar nichts grundsätzlich Neues in punkto Kultur- und Zivilisationskritik, aber der Ton ist um eine Nuance schwermütiger geworden. (…) Auch wenn Horstmann poetische Bilder zulässt (…), ist „Hoffnungsträger“ keinen Deut harmloser als die Vorgängerbände. Der Autor will sich nicht selbst verleugnen. Er greift zu jenen Waffen, die er schon immer bevorzugt hat: Provokation und Polemik, vor allem aber: geschliffenem Wortwitz (wie er besonders dem Aphorismus zueigen ist). (…) Der erwähnte Essay „Hirngespinste“ schließt mit den Worten: „Grund zur Entwarnung kann das nicht sein, insbesondere wenn noch mehr Landsknechte wie ich die Waffen strecken. Eine wildentschlossene Realpolitik schläft nicht. Als Veteran pflege ich ein letztes Hirngespinst, zivil geworden sage ich es lauthals, nein posaune ich es gegen den Abrüstungstrend und die grassierende Erschlaffung heraus: Was wir brauchen, ist die Einführung der allgemeinen literarischen Wehrpflicht.“ Der „ersten“ posthumen Publikation werden mit Sicherheit weitere folgen.
Walter Gödden: Wer fernsieht, verpasst die Glühwürmchen. Mit seinem neuen Aphorismenband „Hoffnungsträger“ beweist Ulrich Horstmann einmal mehr, dass Totgesagte länger leben. Wie gewohnt, ist alles in bester Manier auf den Punkt gebracht. In: Westfalenspiegel, 3/2007, S. 4-6.