Singende Nervensägen oder Der Krieg der Sterne (2021)

Ulrich Horstmann, Autor der berühmt-berüchtigten Streitschrift „Das Untier“ (1983) und bis zu seiner Emeritierung 2014 Professor für englische und amerikanische Literatur an der Universität Gießen, nimmt eine Außenseiterrolle im deutschen Literaturbetrieb für sich in Anspruch. In Gedichten und scharfzüngigen Aphorismen gibt er das Rumpelstilzchen und liest dem Wissenschafts-, Literatur- und Kulturbetrieb auch weiterhin die Leviten. Mit Frank Müller spricht der Kleist-Preisträger übers Gendern, schriftstellerische Freiheit und Diskursflucht.

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Frank Müller: Die Autorin Elke Heidenreich hat Gendern kürzlich als „Sprachverhunzung“ und „feministisches Getue“ abgetan. Sind Schriftsteller:innen prädestiniert, sich zum Thema sprachliche Gleichbehandlung zu äußern?

Ulrich Horstmann: Elke Heidenreich zitiert den Titel der erst posthum veröffentlichten Polemik Arthur Schopenhauers „Über die Verhunzung der deutschen Sprache“. Damit hakt sie sich bei einem Bärbeißer unter, den die bestirnten Rechtgläubigerinnen auf dem Römer und anderswo in der Luft zerrissen, könnten sie seiner noch habhaft werden. Diese Frau mit Männerstimme – da wird mir doch pudelwohl.

F.M.: Wie beurteilen Sie die aktuelle Gender-Debatte? Ist sie gerechtfertigt oder empfinden Sie die Diskussion als überhitzt oder gar unsinnig?

U.H.: Erstens ist die deutsche Sprache ein eigensinniges Stehaufmännchen, kein Stehauffrauchen und hat schon andere Beglückungsversuche überstanden. Und zweitens sollten diejenigen, die sich durch Manierismen abzusetzen trachten vom Rest der Welt, aufs Bevormunden verzichten. Uns nimmt schon die Maskenpflicht die Luft zum Atmen; den Maulkorb des Gutmenschentums lassen wir uns nicht auch noch aufbinden.

F.M.: Beflissene Sprachpfleger verweisen auf die deutschen Klassiker und fragen sich, wo bei all dem Gegendere die Sprache Goethes oder Thomas Manns bleibe. Ist dieses traditionalistische Argument für Sie tragfähig?

U.H.: Die nostalgisch angehimmelte literarische Hochsprache ist ein regelmäßig ausgespritzter und reparfümierter Pferch in einem zoologischen Garten. Schriftsteller halten es mit der freien Wildbahn.

F.M.: Ihrem Gedicht „Im *Stundenhotel®“, das unter diesem Interview veröffentlicht ist, entnehme ich, dass Sie mit Gendersternchen & Co. nicht viel anfangen können. So verweisen Sie implizit auf den Unterschied zwischen grammatischem Genus und biologischem Sexus. Welche Nachteile haben die angesprochenen Gender-„Lösungen“ in Ihren Augen außerdem?

U.H.: Es zieht mich, sage ich mal auf neudeutsch, nicht in den Expertendiskurs. Keineswegs, weil ich wie soviele Zeitgenossen angesichts dieser akademischen Spiegelfechterei, dieser konzertierten Aktion singender Nervensägen, dieser orthographischen Essstörung weder Fisch noch Fleisch wäre. Im Gegenteil, ich bin Barsch.

F.M.: Sie praktizieren weiter das generische Maskulinum und sind damit unter Expert:innen nicht allein. Der renommierte Sprachwissenschaftler Peter Eisenberg hält ebenfalls an dieser Form fest und spricht von einer „Jagd auf eine unschuldige grammatische Kategorie“. Eines seiner Argumente lautet, dass es mit der Bindung der „er“-Substantive an „männlich“ nicht weit her sei. Kann die Genderfrage wirklich ausschließlich linguistisch beantworten werden?

U.H.: Noch einmal. Ich habe in dieser Arena nichts verloren. Da phantasiere ich den Bedenkenträgern lieber schon mal den Triumph an den Hals, damit wir auskosten können, was uns erspart bleibt. – „Meine Männinnen und Weiberer, voller Stolz auf das Erkämpfte und unsere durchgenderte Akustik eröffne ich den Festakt zum Jahrestag der Siemächtigung und des Erges über den Sexismus der Sprache.“

F.M.: Ich hake noch einmal nach. Assoziationstests vom Typ „Nennen Sie Ihren Lieblingsmusiker“ sind gewiss nicht linguistisch fundiert. Verraten sie aber nicht etwas über die realitätsprägende Funktion der Sprache?

U.H.: Wir haben das schöne Wort Gegenstand. Es erinnert daran, daß man sich Beulen holt, wenn man allzu „realitätsprägend“ agiert.

F.M.: Was sagen Sie Leser:innen, die sich in Ihren Werken nicht repräsentiert sehen?

U.H.: Untröstlich, gnädige Frau.

F.M.: Lieber Herr Horstmann, herzlichen Dank für das Gespräch.

 

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Gedicht von Ulrich Horstmann

Im *Stundenhotel®

Auch nach erfolgreicher Verpuffung
gehen die Rechtschreibreformer_innen weiter
auf dem Strich, trennend, was
zu sammen gehört und gleichzeitig
schnelllebig mit flottten Dreiern
bei der Hand, die wie Juckpulver
auf den grammatischen Geschlechtern liegt
und alle Letternschrumpelei, aus dem Vollen
schöpfend, aufrichtet, wo immer wohl
Meinende Lücken füllenden Bedarf
aus machen. Daß dafür das Eszet
die Körbchengröße runterfährt, bis
es die klapperdürre Vogelscheuche
abserviert, war abzusehen, weil die
Geschasste sich schlagzeilig schon viel
länger von den Kurvenstars (den siamesisch-
sibilanten) doubeln ließ. Der Leckersteh-
nicker pfeift drauf; er nimmt’s wie’s kommt
ganz kommatös „Ker was weiss Du den?“
bläst sich die Backen doppelt auf
und läßt Cross-Dresser vor dem Neutrum
an der Rezeption sein Hosenröckchen niedergehen.
Vier Restbuchstaben feiern Wiedersehen.