Repoetisierung des Nachdenkens

Vom Eindringen der Literatur in die (Literatur-)Wissenschaft

 

Eine künftige anthropofugale Kunsttheorie wird (…) das späte 19. Jahrhundert aus seiner Randständigkeit befreien, ihm eine neue, nicht länger marginale Stellung zubilligen und (…) jene denunziativen Qualitäten abbauen, die den Begriffen „Ästhetizismus“ und „Dekadenz“ aus orthodoxem Blickwinkel immer noch anhaften.

Aus: Ästhetizismus und Dekadenz. Zum Paradigmenkonflikt in der englischen Literaturtheorie des späten 19. Jahrhunderts. München 1983. (Habil.-Schr.)

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Am Ende der „Inquisitors“ verschwinden die Eindringlinge hinter dem Horizont. Alles kehrt in den gewohnten Rahmen zurück. (…) Eine Täuschung der Sinne, señor, nichts weiter. Der Mond jagt durch die Wolken. Sie Sehnerven spielen verrückt. Man kennt das. Der lange Ritt, eine überreizte Phantasie, die ewigen Geistergeschichten der Großmutter. Eins kommt zum anderen. Auch compañeros hatten schon solche – Momente. Nichts Ernstes, hombre. Wirklich kein Grund zur Besorgnis. Da unten im Tal liegen keine Leichen.

Aus: Jeffers-Meditationen. Heidelberg 1998.

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Als sich die Schlinge zuzog um den Hals dieses neben Jean Améry vielleicht größten Schutzheiligen all derer, die Hand an sich legen, hatte er (Philipp Mainländer) ein paar Sekunden lang nur das abbebende Pochen des Blutes in den Ohren. Dann aber drang langsam etwas anderes durch und übertönte, fraß, verschluckte alles andere. Ein Mahlen von unerbittlicher, von diamantener Härte, ein Knirschen, Schleifen und Schrammen …

Aus: Mainländers Malstrom. In: Ansichten vom Großen Umsonst. Essays. Gütersloh 1991.

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Breiten wir die Abendröte über das zerschlissene Mobiliar eines Gasthofs, der bessere Tage gesehen hat, über die Enge dieses Sterbezimmers, über das große helle Rechteck an der rückwärtigen Wand, wo einmal ein imposantes Gemälde gehangen haben muß, und über das wächserne Medusenhaupt dort auf dem schweißnassen Kissen. Und halten wir alles an, trotz des Straßenlärms, trotz des dumpfen Gepolters, das durch die Decke dringt. Als würde dort oben etwas Schweres abgesetzt und unter die Dachschräge geschleift. Ein Sack vielleicht, und dann mit schärferem Kratzen ein Bottich oder eine Wanne, eine Wanne, in der glucksende Flüssigkeit schwappt. Ruhe. Jetzt auch unter dem Himmel. Stille wie Firnis oder wie ein Fixiativ, das den Augenblick auf Dauer stellt. Das Bildnis des Oscar Fingal O’Flahertie Wills Wilde.

Aus: Nachwort zu: Oscar Wilde. Das Bildnis des Dorian Gray. Stuttgart 1992.