Philip Larkin oder Die Wehrlosigkeit der Poesie (2002)

Als man den schon arrivierten Philip Larkin (1922-1985) einmal bat, sich selbst zu beschreiben, erledigte er das mit den Worten „a balding salmon“ (zit. nach Phillips 1989: 33). Diese treffsichere Karikatur als ‚glatziler Lachs‘ verdeutlicht nicht nur das gerüttelt Maß an Humor und Selbstironie, über das der angebliche Monomane der Trostlosigkeit verfügte, sondern verrät dem, der mitarbeitet und das Bild weiterdenkt, auch einen, wenn nicht den entscheidenden Persönlichkeitszug. Lachse sind schließlich die Beharrlichkeit selbst, wenn sie die Flüsse hinaufwandern, und weder durch natürliche noch künstliche Hindernisse, weder durch Niedrigwasser noch Stromschnellen und Wasserfälle aufzuhalten. Nicht anders ist auch die künstlerische Biographie von Philip Larkin ein Aufstieg gegen den Strom, durch fast trockengefallene Flußbetten und in hohem Bogen über die Wehre des Modernismus, Akademismus und Elitarismus hinweg.

Beginnen wir mit dem Wassermangel, mit dem Verschwimmen, gegen das selbst ‚große Fische‘ nicht gefeit sind. Der Lyriker Larkin bewegt sich mit anderen Worten zunächst zwischen den falschen Ufern, bis er Ende der 40er Jahre unübersehbar auf dem Trockenen zappelt. Wie sein Freund Kingsley Amis will er Romane schreiben, hat mit Jill (1946) und A Girl in Winter (1947) bald auch Achtungserfolge vorzuweisen; das dritte Projekt aber bleibt Stückwerk und muß nach qualvollen Überarbeitungsversuchen aufgegeben werden. Noch jahrelang betrachtet sich Larkin daraufhin als Romancier manqué, als gescheiterten Erzähler, für den das Gedichteschreiben nur als zweitbeste Lösung in Frage kommt, bis sich schließlich die Einsicht durchsetzt, daß die Kapitulation ein gut getarnter Glücksfall war: „I didn’t choose poetry: poetry chose me“ (RW: 62).

Wer sich so ‚erwählt‘ sieht, muß auch damit rechnen, wieder fallengelassen zu werden. Und tatsächlich ist es Larkin nicht erspart geblieben, 1983 auch das komplementäre Eingeständnis zu Protokoll zu geben: „Poetry gave me up six years ago, and I have no expectation of being revisited“ (SL: 696). Aber zwischen den beiden Eckdaten liegen drei produktive Jahrzehnte und – die Juvenalia hinzugezählt – immerhin 240 Gedichte. Das ist wenig, verglichen mit dem Lebenswerk der Larkin-Vorbilder William Butler Yeats und Thomas Hardy oder dem Oeuvre des argwöhnisch beäugten Zeitgenossen und Konkurrenten Ted Hughes. Im Durchschnitt nur 8 Texte pro Jahr, wie uns die schlichte Arithmetik Philip Gardeners (1985: 196f.) wissen läßt. Denn auch in dem richtigen Wasserlauf wechselten die Wasserstände und verlangten Larkin in Untiefen nicht weniger als in der kräftigen Gegenströmung des Zeitgeistes sein Äußerstes ab, wenn er vom Fleck kommen wollte.

Nur sprach er nicht gern von den Schwierigkeiten und Blessuren, von den Phasen, wo ein Rinnsal genügen mußte und er über Wochen und Monate kaum noch in seinem literarischen Element war. Am liebsten wäre er im Hinblick auf diese Plackerei ganz stumm geblieben wie ein Fisch oder hätte sich in den Lakonismus des Kurzessays „Writing Poems“ (1964) zurückgezogen, wo es einleitend heißt: „Once I have said that the poems were written in or near Hull, Yorkshire, with a succession of Royal Sovereign 2B pencils […] there seems little to add“ (RW: 83). Aber weiter befragt und um Auskunft über seine Arbeitsweise gebeten, rückte er schließlich doch mit der – halben – Wahrheit heraus.

Nein, es war keine Traumexistenz, nicht das „wonderful 500-words-a-day on-the-Riviera life that beckons us all like an ignis fatuus“ (SL: 334), was er führte. Eher das Gegenteil. Larkin hatte einen Brotberuf wie vor ihm William Carlos Williams, Wallace Stevens oder Gottfried Benn, und da er ihn keineswegs mit links erledigte, sondern seine Position als Direktor der rasch expandierenden Universitätsbibliothek in Hull kompetent und erfolgreich ausfüllte, blieben ihm für das Gedichteschreiben nur die Abendstunden nach dem Dienst. „When I did write [poems]“, erklärt er 1982 in einem Interview des Paris Review,

it was in the evenings, after work, after washing up (I’m sorry you would call this ‚doing the dishes‘). It was a routine like any other. And really it worked very well. I don’t think you can write a poem for more than two hours. After that you are going round in circles. (RW: 58)

Dieses Zitat gibt zugleich Einblick – übrigens mit der Selbstkorrektur auch in die hochgradige sprachliche Sensibilität Larkins – und wiegelt ab, macht aus der Not des Sich-nicht-länger-konzentrieren-Könnens die Tugend des Rechtzeitig-aufhören-Dürfens:

Librarianship suits me […]. And I’ve always thought that a regular job was no bad thing for a poet. Indeed, Dylan Thomas himself – not that he was noted for regular jobs – said this: you can’t write more than two hours a day and after that what do you do? Probably get into trouble. (RW: 51)

Erst sehr spät und als er schon ‚ausgeschrieben‘ war, hat sich Larkin das Ausmalen anderer Lebensumstände und größerer künstlerischer Freiräume erlaubt und diese Konstellation nicht mehr von vorneherein als unpassend und „troublesome“ weggeschoben: „Sometimes I think, everything I’ve written has been done after a day’s work, in the evening: what would it have been like if I’d written it in the morning, after a night’s sleep? Was I wrong?“ (RW: 62). Bis zu einem unmerklichen Kopfnicken verstieg er sich aber selbst jetzt nicht. Ein achselzuckendes „Everyone envies everyone else“ ist die äußerste Konzession an die Einsicht, daß die Rahmenbedingungen seines Schaffens nur deshalb ganz unverrückbar waren, weil er selbst nicht daran rührte.

Wer Sätze wie „First and foremost, writing poems should be a pleasure“ (RW: 68) ohne Hintergrundwissen liest, muß daraus schließen, Larkin habe mühelos und leicht gearbeitet und um so weniger Grund, sich zu beschweren. Zwei Stunden Vergnügen und Erfolgserlebnisse am Tag sind schließlich weit mehr, als den meisten Zeitgenossen zuteil wird, und nur Unersättlichkeit gerät darüber ins Lamentieren. De facto aber sahen die Dinge anders aus, weil Larkin über das Glücksgefühl des Virtuosen redet, über ein Gelingen am Ende, das mit unermüdlichem Üben, mit zahlreichen Frustrationen teuer erkauft ist. Nur dem Larkin der Oxforder Zeit und dem vielversprechenden Jungromancier flossen die Sätze aus der Feder. Die großen Gedichte dagegen sind beinahe alle erkämpft.

Wir können dieses agonale Schreiben, das am Anfang des Schaffensprozesses vielleicht gerade über die ‚richtige‘ Anfangszeile eines späteren Zwei-, Dreiseitentextes verfügt, immer noch im Detail nachverfolgen, weil der bibliothekarische ‚Konservatismus‘ Larkins die insgesamt sieben ‚workbooks‘ oder Arbeitskladden, die die Entstehungsgeschichten seiner Gedichte dokumentieren, für die Nachwelt bewahrt hat. Und wer sich heute im Archives Reading Room der Universität Hull über die Aufzeichnungen beugt oder auch nur die exemplarischen Transkriptionen in A. T. Tolleys Larkin at Work studiert hat, dem wird angesichts der acht-, zehn-, zwölffachen Anläufe, die die ‚renitentesten‘ Texte erfordert haben, angesichts des unermüdlichen Neuansetzens oder Wiederaufgreifens und über den Bleistiftspuren eines marathonösen Durchhaltewillens nicht von ungefähr wieder der von seinem genetischen Programm getriebene Lachs in den Sinn kommen, den nur das biologische Aus davon abhalten kann, seinen Bestimmungsort zu erreichen.

Gab es diesen ultimativen Zielpunkt aber überhaupt in Larkins Dichterexistenz, sei es in der altbackenen Form des Ruhms, sei es in dem heruntergekühlten Wunschbild nachhaltigen Trendsettertums, oder lebte er in den und für die Etappen eines abgeschlossenen literarischen Textes, eines fertiggestellten Gedichtbandes? Erfreulicherweise ist der Autor in dieser Hinsicht auskunftsfreudiger als bei ‚Werkstattgesprächen‘ und beantwortet die Frage, wohin die beschwerliche Reise denn nun letztlich gehen soll, mit einem kurzen und knappen ‚Zum Leser‘. Larkin will also, und das verdient mit dem gebotenen Nachdruck festgehalten zu werden, nicht primär auf den Parnaß oder in die Literaturgeschichte, sondern zu einem sich seit zwei, drei Generationen rapide verflüchtigenden Publikum; oder anders gesagt, hinter seinem Oeuvre steht der Anspruch, das zu konsolidieren, was brüchig geworden ist bzw. ganz verlorenzugehen droht, „the essential nexus between the writer and the [common] reader“ (RW: 56).

Über die Strategien zur Umsetzung dieses Projektes, d.h. aber auch über die Hindernisse, die den direkten Zugang zu den Köpfen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verwehren, wird noch ausführlicher zu reden sein. Mehr wiegt an dieser Stelle die Sachinformation, daß Larkin seine Absichtserklärung in ganz beispielloser Weise in die Tat umgesetzt hat und deshalb schon zu Lebzeiten, wie der Kritiker John Osborne formuliert, als Ausnahmeerscheinung galt: „a lingering representative of that endangered species – the major poet beloved by a general public“ (Osborne 1987: 183). Gerade drei Gedichtbände hatte die ‚Anomalie‘ benötigt, um sich diesen Rang zu erschreiben. The Less Deceived erschien 1955 im Kleinverlag der Marvell Press; The Whitsun Weddings kam 1964 schon bei Faber and Faber heraus, und abermals ein Jahrzehnt später, also im Frühsommer 1974, brachte das renommierte Verlagshaus die Startauflage von High Windows in nur drei Wochen an die Leser. Die zehntausend Exemplare der posthum erschienenen Collected Poems waren sogar schon am Erscheinungstag vergriffen (vgl. Phillips 1989: 33).

Wie erklärt sich diese Breitenwirkung und Popularität, die ja keine ‚billige‘ war und vom britischen Kulturestablishment u.a. mit sieben Ehrendoktoraten, der Queen’s Gold Medal for Poetry (1965) sowie den prestigeträchtigen Ernennungen zum CBE (Commander of the Order of the British Empire, 1975), C.Lit. (Companion of Literature, 1978) und CH (Companion of Honor, 1985) sanktioniert wurde – Ehrungen allesamt, die den Briefkopf des Bibliotheksdirektors Larkin im Laufe der Jahre ins Hydrozephale anschwellen ließen? Eine erste Teilantwort ergibt sich aus der Beobachtung, daß Larkin die Staumauer des ‚high modernism‘, diese mächtige Barriere eines supranationalen ästhetischen Konsortiums gegen das angeblich Abgestandene, Überholte, hoffnungslos Verflossene respektlos überspringt und sich um die nach oben immer schmaler zulaufenden poetologischen Fischtreppen der Avantgarde nicht schert.

Trotz der zahlreichen und beredten Versuche der Sekundärliteratur, in Larkins Werk symbolistische und modernistische Verfahren nachzuweisen und ihn so bei aller rhetorischen Devianz doch noch einzugemeinden – eine Umarmungstaktik, die ihren bisherigen Höhepunkt in Peter MacDonald Smiths Aufsatz „The Postmodernist Larkin“ (1989) gefunden hat -, läßt sich doch an dem polemischen Antimodernismus dieses Autors nicht rütteln. ‚Larkin’s pet hates were T. S. Eliot, the Modernists and the teaching of poetry at universities“, hält Paul Moeyes (1994: 95) fest und liest seine Essaysammlung Required Writing schlüssig als „one-man-assault on Modernism“ (ebd.: 98). Dieser Angriff wird an mehreren Fronten zugleich eröffnet, wobei sich die Hauptstoßrichtungen schnell abzeichnen, zieht Larkin doch unermüdlich gegen Substanzverlust und Überkomplexität, Vertheoretisierung und Traditionsbruch zu Felde.

„This is my essential criticism of modernism, whether perpetrated by Parker, Pound or Picasso“, heißt es im ‚Plattentagebuch‘ All What Jazz (1970) zur ersten Facette seines Feindbildes,

[that] it helps us neither to enjoy nor endure. It will divert as long as we are prepared to be mystified or outraged, but maintains its hold only by being more mystifying and more outrageous: it has no lasting power. (Larkin 1970: 17)

Die Moderne liefert mit anderen Worten eine auf Reizmaximierung setzende obskurantistische Surrogatkunst, die den Leser wie eine Droge betrügt. Folglich haben die überkommenen Maßstäbe keineswegs ausgedient und sind vorschnell beiseite geschoben worden. Wer behauptet, Klarheit, Prägnanz und Authentizität hätten in der zeitgenössischen Lyrik abgewirtschaftet, erweist ihr nach Larkin einen Bärendienst: „Poetry is memorable speech. I write when I feel strongly, and want to tell people … I have no enthusiasm for obscurity“ (Chambers 1986: 58). Er hält sich in seiner literarischen Praxis folglich an den zum Anti-Eliot aufgebauten Mitstreiter und Freund John Betjeman, der die verhängnisvolle Behauptung des Waste Land-Verfassers: „Poets in our civilization, as it exists at present, must be difficult“ durch die poetische Tat widerlegt habe und sich wie Kipling und Housman ohne aufwendigen akademischen Vermittlungs- und Auslegungsapparat mit seiner Leserschaft ins Einvernehmen zu setzen wußte.

An dieser Stelle verschränkt sich die unterstellte Uneigentlichkeit der Moderne mit der ihr vorgehaltenen Theorielastigkeit, und ein Ausfall gegen Troß und Hilfstruppen wird vorexerziert. Ausgehend von seinem ‚gesunden‘ Desinteresse an den gewaltigen interpretatorischen Überbauten, die die Kunst des 20. Jahrhunderts in der Tat in nahezu allen ihren Bereichen hervorgetrieben hat – „I have really very little interest in poetry in the abstract“ (SL: 470) -, versucht Larkin den Autonomieanspruch des Gedichts und seines Verfassers zugleich unüberhörbar anzumelden und vorzuleben. Nicht möglichst enge Einbindung des Autors in tonangebende Auslegungskartelle und die intertextuelle Vernetzung seiner Produkte sind ihm Ausweis des Ausgezeichneten, sondern ihr genaues Gegenteil, die Fähigkeit zur Distanz und ‚splendid isolation‘. „I very much feel the need to be on the periphery of things“ (RW: 55), gesteht er dem Observer-Interviewer sechs Jahre vor seinem Tod, und es paßt ins Bild, daß auch bei der intensiven Beschäftigung mit den Kollegen, der vom Modernismus institutionalisierten permanenten Debatte, lässig abgewinkt wird: „I read almost no poetry“ (ebd.: 53). Kunst braucht für Larkin nicht theoretische, exegetische, homiletische Vormünder und Vereinnahmer, auch wenn ihre Aktionen noch so gut gemeint sind; sie entsteht aus zugemuteter Autarkie:

As a guiding principle I believe that every poem must be its own sole freshly created universe, and therefore have no belief in […] a common myth-kitty or casual allusions in poems to other poems or poets, which last I find unpleasantly like the talk of literary understrappers letting you see they know the right people. A poet’s guide is his own judgement. (RW: 79).

Selbst wenn der Autor gleichsam von selbst in ein Umfeld von Gleichgesinnten gerät, und biographisch geschieht Larkin das in den 50er Jahren mit „Movement“-Vertretern wie Robert Conquest, D. J. Enright, Thom Gunn, John Wain u.a., behält diese Maxime ihre Gültigkeit. Zu einer Schule gehören impliziert Fremdbestimmung, und daher legt Larkin geradezu reflexhaft in einem Brief vom 2. April 1958 Widerspruch ein: „[I] deny any but the slenderest connection with the Movement“ (RW: 285).

Natürlich kommt in aestheticis auch der stolzeste Einzelgänger nicht ohne Rückendeckung und Allianzen aus. Aber es sind in der Regel historische Figuren, auf die sich Larkin beruft. Ein Blick in seine Handbibliothek, den er uns in einer Anwandlung von Großherzigkeit gestattet, ist in dieser Beziehung äußerst aufschlußreich:

I have reference books on the right, and twelve poets on the left: Hardy, Wordsworth, Christina Rossetti, Hopkins, Sassoon, Edward Thomas, Barnes, Praed, Betjeman, Whitman, Frost and Owen. True, I reach to the right more often than to the left, but the twelve are there as exemplars. (RW: 86)

Exemplarisch sind die in Reichweite plazierten Dichter in der Tat: für einen dezidiert anti-modernistischen – Modernisten würden sagen ‚rückwärtsgewandten‘ – Geschmack. Larkin allerdings hielt sich keineswegs für zurückgeblieben. Für ihn repräsentieren die Namen mit Ausnahme von Whitman und Frost, die ja auch für die Gralshüter des ‚high modernism‘ Stolpersteine geblieben sind, die echte, die autochthone britische Tradition. Sie war durch einen literaturgeschichtlichen Unglücksfall katastrophalen Ausmaßes verschüttet worden und mußte wieder freigelegt werden, eine Aufgabe, der sich Larkin mit der Edition des Oxford Book of Twentieth-Century English Verse unterzog.

Die Anthologie löste bei Erscheinen durchweg positive Reaktionen aus, was sich allerdings in den darauffolgenden Jahren änderte. Ein Statement wie das X. J. Kennedys:

Larkin’s Oxford Book […] was a monument to modesty and amateurism: Sir John Squire and yards of doggerel. Doubtless this is the worst anthology of modern poetry, with the possible exception of Yeats’s (Kennedy 1989: 166)

läßt den Grund ahnen. Larkin betrieb in seiner Auswahl massiv anti-modernistische Kanonrevision, was u.a. durch die Akzentuierung der Georgian Poetry, also der vom Modernismus epigonalisierten Dichtung des Jahrhundertbeginns, und die an Majestätsbeleidigung grenzende Nichtberücksichtigung von Ezra Pound zum Ausdruck kam. Das Recht dazu leitete er aus der Durchsetzungsgeschichte des neuen Paradigmas ab, die für Larkin keine des gleichsam ritterlichen Wettstreits, sondern die einer kruden ‚Materialschlacht‘ gewesen ist, „the literary equivalent of the Somme, killing off […] a secure and settled native continuity“ (Morrison 1980: 204). Die Konfrontation endete mit der Okkupation des Terrains durch einen Kunst- und Kulturbegriff, der als Allianz der Ismen ‚von außen‘ kam und sein Selbstwertgefühl auch weiterhin aus Disruption, Fragmentierung und Experiment bezog. Das Publikum allerdings verweigerte den Innovatoren die Gefolgschaft, leistete passiven Widerstand oder setzte sich ganz ab. Die Konsolidierung der Moderne konnte deshalb nur noch als Minoritätenkultur erfolgen, die die Symptomatik schwindsüchtiger Scheinvitalität ausbildete, oder in Philip Larkins eigenem Resümee:

It is as obvious as it is strenuously denied that in this century English poetry went off on a loop-line that took it away from the general reader. Several factors cause it. One was the aberration of modernism, that blighted all the arts. One was the emergence of English literature as an academic subject, and the consequent demand for a kind of poetry that needed elucidation. One, I am afraid, was the culture-mongering activities of the Americans Eliot and Pound. (RW: 216f.)

Hier werden wir en passant der ‚Hauptverantwortlichen‘ für das Veröden einer kontinuitätsbewußten und leserfreundlichen Produktivität ansichtig, wobei Larkins nostalgisches Aufladen der vormodernen englischen Literaturgeschichte nicht von ungefähr an die Unschuldswelt seines Gedichts „MCMXIV“ erinnert. Gleichzeitig rückt aber schon das nächste Wehr in den Blick, das die Zielstrebigkeit und Schnellkraft des „balding salmon“ auf die Probe stellt. Im Gegensatz zu der oft behelfsmäßig und mit mehr Enthusiasmus als architektonischem Sachverstand aufgestellten Staumauer der Modernisten verdankt es seine Existenz solider akademischer Professionalität und ist womöglich von noch einschneidenderer Wirkung.

Larkin hat seine Kritik der ‚Verphilologisierung‘ von Dichtung in für ihn ungewöhnlich systematischer Form in „The Pleasure Principle‘ (1957) und Teilen von „Subsidizing Poetry“ (1976), seiner Dankesrede zur Verleihung des Shakespeare-Preises, vorgetragen. Darin geht er von dem Befund aus, daß die Leserverluste der Moderne zu einer Art Zwangsrekrutierung von ‚Rezipienten‘ und zur Etablierung eines nahezu geschlossenen Kreislaufs zwischen subventionierter Produktion und ihrer über den Lehrbetrieb abgewickelten Konsumtion geführt hätten. Überspitzt gesagt wählt sich die Philologie aus dieser Perspektive kongeniale, d.h. deutungsbedürftige Textproduzenten aus, alimentiert sie etwa als Dozenten oder ‚poets in residence‘, verhilft ihren Produkten dadurch zu immerhin respektablen Auflagen, daß sie sie zur Kurslektüre macht, und erwartet dafür im Gegenzug paßgenaues ‚Analysematerial‘, anhand dessen sie ihre Deutungstechniken widerstands- und störungsfrei vorexerzieren und ihre ‚avancierten‘ Literaturmodelle risikolos von der Praxis bestätigen lassen kann.

Nach außen hin vermag sich diese intellektuelle Subsistenzwirtschaft das Erscheinungsbild eines auf Dauer gestellten Kulturbooms zu geben. In der Innenperspektive bildet sie sich ab als

a cunning merger between poet, literary critic and academic critic (three classes now notoriously indistinguishable): it is hardly an exaggeration to say that the poet has gained the happy position wherein he can praise his own poetry in the press and explain it in the class-room. [..] The modern poetic audience […] is a student audience, pure and simple [who …] not only pay for the poetry but pay to have it explained afterwards. (RW: 81)

Keine Frage, das inzwischen längst eingespielte System der akademischen ‚Verwertungsgesellschaft Wort‘ ernährt seinen Mann und hält auch das studentische Ersatzpublikum erfolgreich bei der Stange. Allerdings um den Preis eines (selbst)mörderischen Aderlasses. Lust und Laune sind in diesem gutgeölten Räderwerk nämlich nicht mehr vorgesehen, weder auf seiten des Lesers, dem Experten und ‚opinion-leaders‘ seine Pflichtlektüren vorgeben, noch auf seiten des Autors, der gerade auch durch großzügige Förderungsmaßnahmen immer weiter in die Rolle des gewissenhaften Erfüllungsgehilfen von verinnerlichten Leistungserwartungen gedrängt wird:

The same kind of danger awaits the poet on the campus […] If the poet engages in this exegesis and analysis by becoming a university teacher the danger is that he will begin to assume unconsciously that the more a poem can be analysed – and therefore the more it needs to be analysed – the better poem it is and he may in consequence, again unconsciously, start to write the kind of poem that is earning him a living. (RW: 89)

Aus diesem Grund kann es für Larkin in Schonräumen nur zu kulturellen Scheinblüten kommen. Literatur benötigt die freie Wildbahn des unregulierten Marktes, auf dem die anarchische Lust des Autors an den eigenen Unverwechselbarkeiten als einzig lohnende Verbündete die anarchische Lust der Leseratte auf abwechslungsreiches Lesefutter ausmacht: „At bottom poetry, like all art, is inextricably bound up with giving pleasure, and if a poet loses his pleasure-seeking audience, he has lost the only audience worth having, for which the dutiful mob that signs on every September is no substitute“ (RW: 82). Und weil das so ist, wird das Schreibenkönnen unter widrigen Umständen und in für den Autor unvorteilhaften Situationen geradezu zum Qualitätstest. Anti-Brutkastenmilieus lassen falsche Motivationen im Handumdrehen absterben, schmalbrüstige Talente ins Schweigen zurücksinken. Deshalb erhält sie sich Larkin als voll berufstätiger Dichter, der jeden Abend inmitten der Schlacken eines absolvierten Arbeitstags neu ansetzt, oder verwandelt selbst diese Zwei-Stunden-Reservate noch in Testgelände und Zonen verschärften Konkurrenzdrucks:

Sometimes I deliberately let it [the poem] compete in the open market, so to speak, with other spare-time activities, ostensibly on the grounds that if a poem isn’t more entertaining to write than listening to records or going out it won’t be entertaining to read. (RW: 84)

Die Lebenserleichterer der Kunst, muß man auch aus solchen Exerzitien wieder folgern, ihre kulturpflegerischen Förderer, workshop-erprobten Ansprechpartner und studienordnungsliebenden akademischen Multiplikatoren sind also ihre wahren Freunde nicht. Allerdings sprach und spricht es für die Reflexionsbereitschaft der Literaturwissenschaft, daß sie sich das von einem Autor vorhalten läßt, den sie mit sekundärliterarischen Aufmerksamkeits- und Gunstbeweisen geradezu überschüttet hat. Ausnahmen bestätigen dabei die Regel. Denn insbesondere seit Erscheinen der Selected Letters (1992) und der Larkin-Biographie von Andrew Motion (1993) artikuliert sich auch eine revisionistische oder wohl besser revanchistische Fraktion, die die rückstandsfreie Demontage von PAL – Larkins ‚kumpelhafte‘ Initialen erklären sich durch den Doppelvornamen Philip Arthur – auf ihre Fahnen geschrieben hat und dabei ganz erstaunliche Töne anschlägt. „This selection [of letters]“, liest man etwa in der Rezension Tom Paulins im Times Literary Supplement, „stands as a distressing and in many ways revolting compilation which imperfectly reveals and conceals the sewer under the national monument Larkin became“ (zit. nach Bristow 1994: 156). Und auch hinter den literarischen Exekutionsphantasien von Lisa Jardine verbirgt sich ein erkleckliches Haßpotential:

Our problem concerns the place Larkin’s poetry occupies at the heart of the traditional canon of English literature. […] What the curious and conscientious student will discover is a Philip Larkin who is not the benevolent, modest librarian with an extraordinary ear for a quinessentially British kind of detail of A-level anthologies, but rather a casual, habitual racist and an easy misogynist. Not to mention a malicious gossip, who relishes savagely caricaturing fellow authors and critics […] Actually, we don’t tend to teach Larkin much now in my Department of English. (Jardine 1992: 4)

Daß Larkins Grabesruhe von solchen neuerlichen Beisetzungsversuchen gestört wird, ist allerdings nicht anzunehmen. Eigentlich hatte sein gesundes Mißtrauen gegenüber der Zunft diesen Umschlag der Sympathien schon zu Lebzeiten erwartet: „The reviews […] have been far too favourable; very soon somebody will cut me down to size“ (zit. nach Salwak 1998: 202). Und darüber hinaus war aus seinem Blickwinkel auch gegen posthume Nagelproben – diesmal durch moralische Eintrübung des Rezeptionsklimas – wenig einzuwenden, denn eine Lyrik, die von nachträglich entdeckten Charaktermängeln ihres Verfassers dauerhaft angeschwärzt werden kann, ist genauso zweitklassig wie das Spiegelbild einer Dichtung, die es sich in der akademischen Verhätschelung eingerichtet hat und an der nun wie an einer Pechmarie die Lobhudeleien der Autoritäten von gestern kleben.

Pflichtbewußte Jahrzehnte hat sich Larkin unter Akademikern bewegt wie ein Fisch im Wasser, und doch entstammte er – man lese in „Naturally the Foundation will Bear Your Expenses“, „Posterity“ oder „The Dance“ nach – einem ganz anderen Genpool. Zwei Stunden pro Tag war er fort, entsprungen, jenseits des Wehres der höheren Bildung und des sich in Leseräumen und Hörsälen einpegelnden Sachverstandes. Wer ihm in die Große Freiheit der Kunst folgen wollte, brauchte dazu kein Diplom und keine mentale Spezialausrüstung. Lesen können war genug, denn wie die Spundwände des Modernismus und die Betonverschalungen der Neuscholastik hatte auch der angebliche Elitarismus zeitgenössischer Kunst vor den Gedichten Larkins keinen Bestand, sondern wird als drittes und letztes Sperrwerk der selbsternannten Kulturpfleger, Abteilung Fluß- und Wasserbau, im Fluge genommen.

Die mit Bildungsgütern wie mit Tempeltrümmern übersäten zerebralen Landschaften modernistischer Lyrik, die den Leser zum Archäologen ausbilden und zum geduldigen Inschriftenentzifferer umschulen müssen, sind in Larkins Gedichtbänden nicht anzutreffen. „Larkinland“, stellt Jerzy Jarniewicz unmißverständlich fest, „is constructed according to two principles: the principle of the concrete and the principle of the commonplace“ (Jarniewicz 1994: 65). Keine andere als unsere eigene wiedererkennbare Alltagswelt also wird erkundet, und zwar in einer gekonnt unprätentiösen Sprache, die dieses Milieu nicht exhibitionistisch ausschlachtet als etwas, dem sie entwachsen ist, sondern es – über O-Ton-Einschübe – beim Wort nimmt und also mit ihm verwachsen bleibt.

Wo – die Frage drängt sich auf – ist bei so viel Nähe und Vertrautheit dann aber noch Platz für den akademischen Interpreten mit seinem Spezialwissen und analytischen Rüstzeug? Man sieht ihn sich winden, bis wenigstens einer aus der Schar der Zweitverwerter den Mut findet, seinen Larkin-Forschungsbeitrag mit ein paar Zeilen Klartext über den Stellenwert derartiger Unternehmungen anzureichern:

A critical study of Philip Larkin’s poetry – even such a slim and modest one as this – treads on thin ice. Larkin’s poems hardly need explication for they offer themselves with such an easy grace and clarity that the critic is rightly made redundant by them. Larkin’s aim was to address himself to readers, not the lit.crit. industry, and he expresses himself with a directness and eloquence which should have no need of the intermediary services of the critic. (Swarbrick 1986: 1)

Eigentlich überflüssig, was ich in Angriff nehme, steht hier – und nur deshalb der Mühe wert. Erst über dieses Paradox, die Entlassung der Gedichte aus jedweder Form der Bedürftigkeit, aus den Sprechstunden literaturwissenschaftlicher Logopädie, gelingt gewinnbringendes Kommentieren. Man darf Larkin-Texte, noch einmal anders gewendet, nicht darüber zu belehren versuchen, was sie eigentlich sagen wollen, sie sind immer schon selbstverständlich. Der schwarze Peter der Begriffsstutzigkeit liegt bei einem modernistisch und postmodernistisch verkopften Leser, dem diese Nachricht zu schön vorkommt, um wahr zu sein. Dem Menschen kann immerhin geholfen werden, und zwar homöopathisch durch Kopfarbeit.

Leider treten die entsprechenden Übungen in intellektueller Dekompression in der Sekundärliteratur dann doch wieder im Verbund mit kontraindizierten ‚Sinnaufladungen‘ auf. Larkin sei „kein Ingenieur im Labor der Worte“, erfahren wir etwa bei Harald Hartung (1990: 775), „er benutzt gern die tradierten Formen, die Konventionen von Strophe und Reim.“ Kaum wollen wir es uns aber in diesen entlastenden Vertrautheiten bequem machen, scheucht der Nachsatz auf: „Aber eben darin entfaltet er eine Raffinesse, die groß und einzigartig ist.“ Oder noch eklatanter und kürzer bei James Booth: „[Larkin’s poetry] is indeed very ‚easy‘. Yet at the same time it is inexhaustibly complex“ (Booth 1992: 5). Angesichts dieser Wechselbäder zwischen attestierter Allgemeinverständlichkeit und dem abgründigen Arkanum – selbstredend unter philologischer Schlüsselgewalt – verläßt man sich am besten auf das, was der Betroffene selbst zur Klärung des Sachverhalts beizutragen hat. Und prompt setzt die zerebrale Entkrampfung ein, die bei den Kommentatoren allenfalls interimistisch zu haben war.

Den Sinn und Zweck der ganzen Veranstaltung kann Larkin nämlich in einem Satz erklären: „I write poems to preserve things I have seen / thought / felt“ (RW: 79), wobei das Aufbegehren gegen ein spurloses Verschwinden, das Bewahren- und Festhaltenwollen von ‚Bemerkenswertem‘, für ihn jedes künstlerische Schaffen grundiert. Wie das spezielle ‚Konservierungsverfahren‘ der Lyrik arbeitet, muß auch Nichtfachleuten keineswegs ein Buch mit sieben Siegeln bleiben. In dem Jahrhundert der Theorieexplosion, in dem die Zahl der Manifeste, Programme, Aufrufe, Polemiken und Gegenpolemiken die der Kunstwerke überflügelt hat, in dem die ‚concept art‘ zu Ausführungen gar keine Zeit mehr findet und der Künstler von Format sich und seine Intentionen so wortgewaltig auszulegen weiß, daß es uns recht zurückgeblieben und kleinkariert vorkommen will, überhaupt noch auf Taten zu dringen – in diesem ständig weiterwachsenden Turmbau auf der Metaebene zu Babel also braucht Philip Larkin nicht einmal ein Dutzend Zeilen, um seine komplette Poetik auszubreiten. Dies ist sie:

The writing of a poem […] consists of three stages: the first is when a man becomes obsessed with an emotional concept to such a degree that he is compelled to do something about it. What he does is the second stage, namely construct a verbal device that will reproduce this emotional concept in anyone who cares to read it, anywhere, anytime. The third stage is the recurrent situation of people in different times and places setting off the device and re-creating in themselves what the poet felt when he wrote it. (RW: 80)

Das lassen wir so stehen. Kein Kommentar – zumindest nicht zu Larkin. Daß seine Interpreten nichts Eiligeres zu tun hatten, als ihn vor sich selbst in Schutz zu nehmen, war abzusehen. Nein, so schlicht, so simpel, so ‚primitiv‘ kann es der Meister doch unmöglich gemeint haben; vielmehr will er uns fraglos auf die Probe stellen, uns willentlich aufs Glatteis führen. Und schon gibt James Booth die die Selbstachtung der Experten rettende Parole aus: „Larkin’s statements on aesthetics present a similarly reductive red herring“ (Booth 1992: 4). Unversehens begegnen wir damit einer zweiten Fischart (Clupea harengus ruber redux), mit der sich der „balding salmon“ angeblich abgegeben haben soll. In Wahrheit sind die Tierchen aber von der Kritik eingesetzt worden und liefern die langersehnte Erklärung dafür, warum gerade dem abgetauchten Larkin unweigerlich die Haare ausfallen.

Bliebe abschließend noch der Eindruck zurechtzurücken, Larkins Dichtung sei Depressionsliteratur, denn in seinen Textwelten gehe bekanntlich alles den Bach herunter. „Actually, I like to think of myself as quite funny“ (RW: 47), antwortete er einmal auf eine entsprechende Vorhaltung, und seine Umgangsformen mit dem zeitgenössischen Literaturbetrieb bestätigen das. Larkin hat nämlich über Jahrzehnte hinweg seinen Spaß mit einem Markt gehabt, den er schon in den 50ern durchschaute: „The apparatus for the creation and maintenance of celebrities is vastly in excess of material fit to be celebrated“ (SL: 286). Mache dich, so die Konsequenz aus dieser Einsicht in die ständige Unterversorgung, dadurch doppelt unwiderstehlich, daß du zum einen nur erstklassiges Material lieferst und dich zum anderen als Zelebrität verflüchtigst. Das war die Geburtsstunde des „Hermit of Hull“, dieses Markenzeichens, das Larkin eigentlich nichts gekostet, aber mancherlei eingebracht hat. „The reputation I would make by appearing publicly is nothing compared to the one I make by remaining hidden“ (SL: 287), teilt er einem Briefpartner schon am Beginn seiner Karriere siegessicher mit. Und da man als habituell Abwesender sein Image nicht einmal stundenweise ausfüllen muß, kann man in seiner Freizeit ordentlich herumkommen, gesellig sein – und gutgläubige Fans mit soviel das Leben bereichernder Inkonsequenz in den Jähzorn treiben:

Then there is Larkin the Hermit of Hull. Schweitzer in the Congo did not derive more moral credit than Larkin did for living in Hull. […] Until I read Motion’s book I had imagined that Larkin was someone who had largely opted out of the rituals of literacy and academic life […] Not a bit of it. There are umpteen formal functions […] Hermit of Hull or not, he dutifully turns up to collect whatever is offered to him, […] he’s about as big a recluse as the late Bubbles Rothermere. (Bennett 1997: 236ff.)

Trotz aller Umtriebigkeiten und Ausbrüche bleibt die Grundtönung von Larkins Leben und Werk allerdings eine melancholischer Exzentrizität: „I see life more as an affair of solitude diversified by company than an affair of company diversified by solitude“ (RW: 54). Damit ist auch das Arbeitsfeld festgelegt, das nicht der Taumel des überschäumenden, prallen, dem Betrachter die Sinne raubenden Lebens, sondern nur das Weitertaumeln seiner enttäuschten, ausgepumpten, unansehnlichen Dutzendware sein kann. „Deprivation“, bestätigt Larkins schwarzer Humor, „is for me what daffodils were for Wordsworth“ (RW: 47). Und warum nicht? Wieso sollen denn die literarischen Erkundungen wunschlosen Unglücks und eines zumindest achtenswerten Überlebens, die Explorationen der Notlösungen, Provisorien, zweifelhaften Anstrengungen der Alltagsexistenz weniger wert sein als Berichte von einem jederzeit exzeptionellen Gelingen oder der niederschmetternden Intaktheit des Schönen oder Erhabenen? Einzusehen ist das unter ästhetischen Prämissen keineswegs, denn hier gilt: „The impulse for producing a poem is never negative; the most negative poem in the world is a very positive thing to do“ (zit. nach Osborne 1987: 188) oder noch prägnanter: „A good poem about failure is a success“ (RW: 74).

Eben solche Gedichte hat Larkin geschrieben, hartnäckig, diszipliniert, unbestechlich und mit kaum überbietbarer Meisterschaft. Sein Publikum hat ihn dafür verehrt und geliebt und ihm den Verzicht auf die Patentlösungen und großen Gesten nie vergessen. Nur die Kritik mäkelt turnusmäßig an seinen ‚Einseitigkeiten‘ und ‚Begrenztheiten‘ herum. Im Gegensatz zum ‚balding salmon‘ steht ihr dann das volle Haupthaar gar prächtig zu Berge, bis sie den Kopf von einem kunstsinnigeren Kollegen wie Clive James gewaschen bekommt:

It has always seemed to me a great pity that Larkin’s more intelligent critics should content themselves with finding his view of life circumscribed. […] It ought to be obvious that Larkin is not a universal poet in the thematic sense – in fact he is a self-proclaimed stranger to a good half, the good half, of life. […] What’s missing in Larkin doesn’t just tend to be missing, it’s glaringly, achingly, unarguably missing. But the poetry is all there. (James 1975: 52)

Einleitung zu: Hier. Gedichte. Zweisprachig. Übertragen u. kommentiert von U. Horstmann. Marburg 2002.