J. M. Coetzee. Vorhaltungen. (2005)
J. M. Coetzee (…) wurde von der internationalen Kritik aufgebaut. Horstmanns Studie fragt nach den Gründen und Interessen. Gleichzeitig werden die Vor-Haltungen und Vorgaben betrachtet, aus denen heraus Coetzee schreibt und von denen er sich nur mühsam befreien kann. Die Sozialisation im von Apartheid geprägten Südafrika ist eine solche Hypothek, nicht anders als die Doppelexistenz als Literat und Literaturwissenschaftler, der die Kreativität seines Alter ego mit postmodernen Dogmen umstellt.
J. M. Coetzee. Vorhaltungen. Verlag Peter Lang, Frankfurt am Main et al. 2005.
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Nicht anders als sein Interpret (…), so gehört auch Coetzee jenen Berufszwittern an, die als „Schriftstellerwissenschaftler“ analysierend und theoretisierend mit Texten umgehen, gleichzeitig aber Schöpfer sind, das heißt: Literatur zu Papier bringen. Nichts wäre für Horstmann also einfacher gewesen, als sein eigenes Selbstverständnis: „Ich lasse mich nicht […] auseinanderdividieren. Wenn ich über Literatur rede, bin ich kein anderer als der, der sie zu Papier bringt, und ich halte diese Personalunion nicht für ein Handicap, sondern für das genaue Gegenteil“ getreulich auf den Doppelgänger Coetzee abzuspiegeln, der ganz Ähnliches verlautbart: „People ask me wether I feel any rupture between my life as an academic and my life as a writer and the answer is: no“. Aber weit gefehlt, entpuppt sich die von Coetzee behauptete friedliche Koexistenz von literarischer Tätigkeit und literaturwissenschaftlicher wie literaturgeschichtlicher Praxis bei genauerer Betrachtung doch als nicht unter einen Hut zu bekommende Doppelgesichtigkeit. Während die Sekundärliteratur Coetzee Deckungsgleichheit und Konformität abkauft, geht unter Horstmanns Analyse das Wunschbild der Eintracht in Stücke: Der Literaturwissenschaftler Coetzee, ganz den tonangebenden postmodernen Dogmen verpflichtet, pfuscht dem Schriftsteller ständig ins Handwerk. Was dabei herauskommt? Waren Horstmann postmoderne Schlüsselkonzepte wie metafiktionale Selbstbezüglichkeit oder das Untergraben von Autorschaft und Autorität immer schon ein Dorn im Auge (…), so ist es undenkbar, dass er Coetzee das Wegvernünfteln literarischer Primärerfahrung so einfach durchgehen lässt. Und wirklich: Coetzee habe, so heißt es, zumindest bis „Foe“ (1986) „Theorieliteratur“ hervorgebracht, in der „der Erzähler JMC […] den nächsten Auftritt des Herrn Professor vorbereiten [darf]“. Anschließend beginnt – gottlob – jedoch ein „Entproblematisieren“, eine literarische Reorientierung. Zu ihr gehören das Eingeständnis eines rückhaltlosen Ausgeliefertseins an die Kunst und an ihre Spielregeln genauso wie die Absetzbewegung von poststrukturalistischen Paradigmen in das Niemandsland der Geschichten.
Frank Müller: Horstmann vs. Coetzee. Ein Härtetest für den Literaturnobelpreisträger. In: literaturkritik.de, 7. Jahrgang, Nr. 10, Oktober 2005, S. 161-163. (Zu: „J.M. Coetzee – Vorhaltungen“)