„Humanismus sucks“ (1999)
Ulrich Horstmann im Gespräch mit Fritz Ostermayer. FM 4, Januar 1999. (Transcript von René Kaiser)
UH: Ulrich Horstmann
FO: Interviewpartner Fritz Ostermayer
(Am Anfang des Interviews fehlen einige Sätze, sonst ist das Tonband vollständig wiedergegeben.)
(…)
FO: Haben Sie mittlerweile im letzten Jahrzehnt die Hoffnung aufgegeben, daß es in naher Zukunft zu dieser finalen Selbstauslöschung kommen wird?
UH: Ich gucke mir ab und zu Sportveranstaltungen an und da gibt es den Weitsprung. Und da stellt man fest, daß die Leute zurückgehen, nach hinten sich bewegen, wenn sie nach vorne kommen wollen, möglichst weit. Es stimmt schon, der Kalte Krieg ist vorbei, wir haben oft genug das Gefühl, alles ist wieder im Lot, alles ist wieder unter Kontrolle, aber ich darf daran erinnern, daß die Raketen immer noch in den Silos stehen, in den USA zumindest bestens gewartet, auf den Atom-U-Booten um den Globus gefahren werden, und ich fürchte, wir sind dieses Problem immer noch nicht los.
FO: Ein Großteil Ihrer Schriften ist zur Zeit gar nicht erhältlich, könnte es sein, daß im Siegersystem Kapitalismus kein Bedarf mehr an negativen Utopien besteht, oder, daß sogar solche Gegenentwürfe heute wieder als Tabu gehandelt werden?
UH: Ich glaube, daß es den Literaten und Philosophen genauso geht wie den Schlagersängern, wenn man nicht im Schützenfestzelt musiziert hat, gehört man nicht zur Profession, wenn man das nicht durchhält.
FO: Das ist aber jetzt nicht die Antwort auf meine Frage!
UH: Doch, doch! Es gibt Gezeiten. Es gibt Hochs, es gab ein Hoch der Melancholie, ich hab (das) das „Startfenster zum Saturn“ genannt, und dieses Startfenster schließt sich wieder und geht in ein, zwei Generationen, (in) 30, 50, 60 Jahren wieder auf. Die Literatur und die Kunst haben immer einen langen Atem gehabt, die können das aushalten im Gegensatz zu Leuten, die ihr Kapital verwerten müssen, die sind wesentlich kurzatmiger und setzen auf Variation, Veränderung von Kurzweil, und man muß als mittelfristiger Literat damit rechnen und damit umgehen können.
FO: Sie sagen, derzeit sei quasi keine Konjunktur der Melancholie, andererseits gibt es aber gerade jetzt zur Jahrtausendwende eine totale Flut von apokalyptischen, esoterischen und religiösen Phänomenen, es gibt Bücher zum Thema en masse. Wie paßt das zusammen? Hat das wirklich nur mit der Lächerlichkeit einer Jahreszahl zu tun?
UH: Ja. Also ich glaube, das ist der Auslöser. Das ist so ähnlich wie bei anderen Jubiläen auch. Wenn Fontane Geburtstag hat, kann ich die Gesamtausgabe auf den Markt drücken, wenn das Jahr 2000 ansteht kann ich Bücher vermarkten, die sonst unverkäuflich gewesen wären, auch Geisteshaltungen, die sonst niemanden interessiert hätten, drängen sich unter dem Ettikett auf den Markt und kommen kurzfristig an. Das sind Eintagsfliegen. Also, diese magische Zahl ist doch eine lächerliche Größe.
FO: Noch eine Affinität fällt mir zu diesen Endzeit-Propheten der Esoterik-Schiene auf: Sie haben oft eine große pathetische Form gewählt, also die Sprache ist immer so biblisch, alttestamentarisch.
UH: Ja.
FO: Auch bei ihnen, zum Beispiel im „Untier“ gibt es Passagen, wo man fast denken könnte, das ist schon eine Parodie auf das Alttestamentarische.
UH: Ja.
FO: Und in beiden Fällen, also bei den Apokalyptikern der Religion und bei Ihnen, sehe ich einen gewissen Hang zur „self-fulfilling prophecy“. Man sehnt sich, man schreibt sich das Ende herbei, auf das es endlich eintreten möge …
UH: Nee, nee, nee, nee, nee, nee. Also, das ist einfach falsch. Ich sage immer, was ich da gemacht habe in diesem Buch, das ist Eventual(itäts)philosophie gewesen. Was ich damit meine: Ich denke mich in eine Welt, und da kann man auch nicht hinfliegen mit irgendwelchen Reiseunternehmen, ich denke mich in eine Welt, die dadurch definiert ist, daß es uns nicht mehr gibt, daß es auch keine philosophische Intelligenz mehr gibt. Und mit dieser Welt muß ich vorher denkerisch klarkommen, weil, wenn sie da ist, ist kein denkendes Subjekt mehr existent. Da heißt, das ist nicht geboren aus irgendeiner Rechthaberei – „ich hab’s euch ja immer gesagt“ – oder sowas, sondern das ist geboren aus (der) Neugier, wie weit kommt man im Kopf, und man kommt in ein Niemandsland im Kopf ohne uns, und es ist unglaublich faszinierend sich da umzusehen, es ist auch unglaublich faszinierend darüber nachzudenken, macht diese Welt eigentlich Sinn. Insofern hat mich das apokalyptische Verteufeln immer furchtbar geärgert. Wir kennen ja alle diese Umrechnung von Erdgeschichte auf 12 Stunden, und da wird 5 Minuten vor 12 die Menschheit geboren. Das heißt, wir sind ein paar Minuten von diesen 12 Stunden existent, vorher gab es uns nicht, und es wird eine Zeit geben, da gibt es uns auch nicht mehr, und wir forschen zurück, da leben ganze Wissenschaftsdisziplinen davon, bestens, und ich begebe mich mit der Phantasie, die ich habe, mit der Spekulationsfreude, die ich aufbringen kann, nach vorne.
FO: Ein zentraler Begriff in diesem Gedankengebäude oder in diesem spekulativen freudigen Philosophieren ist der der Anthropofugalität, das anthropofugale Bewußtsein. Können Sie das ein bißchen erklären?
UH: Das ist ja nur ein Zungenbrecher, deshalb benutze ich lieber die deutsche Entsprechung „Menschenflucht“ oder „menschenflüchtig“ für anthropofugal. Das ist aus demselben Impuls geboren, und dieser Impuls ist in der Kunst uralt, das habe ich doch nicht entdeckt. Wie weit kann ich eigentlich im Kopf mich von meinesgleichen entfernen? Also, wie unverwandt kann ich mir zugucken? Das haben große Literaten durchexerziert, zum Beispiel Shakespeare schon im „Timon von Athen“ oder im „Titus Andronicus“, das geht weiter bis in die Gegenwart, bis Cioran oder zum Beispiel in die bildende Kunst, es gibt ja in Wien den Wolfgang Sinwel, der malt Landschaften, die dadurch definiert sind, daß es den Menschen in diesen Landschaften nicht mehr gibt oder nie gegeben hat. Und das sind ausgesprochen beruhigende Bilder, da ist von apokalyptischen Fanfarenklängen und von den Posaunen des jüngsten Gerichts nichts zu hören und nichts zu sehen. Ich möchte nur noch eine Sache ergänzen: Also alttestamentarisch bin ich schon, weil ich pietistisch aufgewachsen bin, und das Vokabular und die Sprache und den Luther wird man gottseidank nicht mehr los. Aber inzwischen ist fast ein halbes Jahrtausend in die Welt gegangen, und es ist etwas hinzugekommen, und das unterschlägt man immer. Und das gibt es zum Beispiel bei diesen Saisonprodukten, die da aufs Jahr 2000 schielen, in der Regel nicht, nämlich den schwarzen Humor. Und das „Untier“ ist auch eine Satire gewesen, und die Passagen, die sie genannt haben und wo sie gesagt haben, das grenzt ja schon fast an Selbstparodie, ja klar, weil das schwarzer Humor ist.
FO: Sarkastischer schwarzer Humor.
UH: Ja, Galgenhumor. Galgenhumor. Also wie derjenige, der da auf die Leiter steigen muß und oben angekommen sagt „this would teach me a lesson“, also: „jetzt hab ich es aber begriffen, die Lektion werde ich dann hoffentlich verstehen“.
FO: Da hätte ich gleich eine Nebenfrage: Schätzen Sie eigentlich den Humor von Thomas Bernhard?
UH: Nee.
FO: Ich fühle da eine Verwandtschaft, auch eine tiefschwarze verbitterte Spaßdisziplin schon …
UH: Also bis zu den österreichischen Gipfelleistungen werde ich ja nie kommen, also diese Morbideza werde ich nie – ich bin Ostwestfahle – erreiche ich nie. Aber mit meinen schwachen Kräften bin ich …
FO: Ihnen fehlt das katholische Element wahrscheinlich.
UH: Jaja. Das hat meine Frau mitgebracht, aber es war ein bißchen spät. Ich bewundere das immer noch, aber das ist bei mir nicht mehr einzufleischen.
FO: Ein anderer Begriff, der für Sie wahrscheinlich eine zentrale Bedeutung hat ist der Begriff des Leids und der Qual.
UH: Ja.
FO: Wie erklärt man diese Begriffe einer scheinbar blöd-zufriedenen Gesellschaft, deren reicherer Teil sich sowas wie Leid ja locker wegtherapieren lassen kann? Und wenn die Therapie nicht funktioniert, dann kann man es mit Konsum retuschieren oder zudecken, kompensieren.
UH: Naja, die Leute stürzen ja ab und zu ab, insbesondere die ostentativ lebensfrohen. Es gibt ja immer so Phasen wo dann darübersteht „Depression“ und wo die Therapie einsetzt, wenn die Leutchen auf diesem Karussell bleiben wollen – Euphorie und Absturz, Euphorie und Absturz – dann sollen sie kreisen bis zum St. Nimmerleinstag. Ich will sie von dem Karussell nicht herunterholen. Jeder fährt auf dem Schaukelpferd, auf dem er fahren will.
FO: Und der Selbstmord ist dann keine Lösung?
UH: Doch. Aber ich werde den Teufel tun und in dieser Beziehung anfangen zu predigen.
FO: Der Selbstmord im idealistischen Sinn ist ja eine weitgehend selbstbestimmte Tat, würde ich meinen, im idealistischen Sinn. Aber der kollektive Abgang der gesamten Menschheit würde ja nur mit Hilfe von Politikern und Militärs funktionieren.
UH: Ja, die machen das schon, die brauchen gar keine Philosophen dafür.
FO: Aber ist das nicht eine ekelhafte Vorstellung, daß das Heil der globalen Auslöschung nur via machtbesoffener Politiker funktionieren kann? Weil in ihrem Buch, im „Untier“ zum Beispiel, formulieren Sie ja die Vision: Endlich Schluß mit dem Ganzen. Es gibt so wunderbare ABC-Waffen. Einsetzen, daß die Erde endlich wieder menschenfrei wird. Aber da kann man doch nur einsetzten, wenn ein schwachsinniger Politiker den roten Kopf drückt.
UH: Aber da redet doch ein Agent Provocateur, da redet doch jemand, der sagt: Überlegt euch das, das ist die Automatik, die habt ihr in Gang gesetzt, wollt ihr das wirklich?
FO: Es will eh die Mehrheit wahrscheinlich nicht, nie.
UH: Ja, oder wollt ihr das zulassen? Aber was verlangen Sie denn von einer randständigen Intelligenz wie ich sie habe, ich bilde mir doch nicht ein, daß man mit ein paar Zeilen Weltgeschichte verändern kann, weder zum Guten noch zum Bösen. Ich rede mir doch nicht ein, daß irgendein Politiker auf mich hört oder das irgendein Atom-U-Boot-Kommandant das „Untier“ gelesen hat und also auf den Knopf drückt.
FO: So habe ich es auch nicht gemeint. Man könnte es so sagen, es gibt das philosophische Klischee, daß die großen Amoralisten eigentlich alle große Moralisten waren. Insofern sind Sie ein großer Moralist.
UH: Schlimm genug, ja. Ist das ein Problem?
FO: Oder noch härter gefragt, macht man sich fast nicht lächerlich heute?
UH: Ja klar macht man sich lächerlich.
FO: Aber das macht nichts?
UH: Nein, nein. Man muß sich lächerlich machen.
FO: Schon wieder ein Satz von Thomas Bernhard. Sie kennen ihn unbewußt.
UH: Wahrscheinlich, ja. Aber man geht ja auch Leuten aus dem Weg, die einem zu nahe sind.
FO: Worüber können Sie wirklich lachen, literaturmäßig jetzt?
UH: Über Kurt Vonnegut zum Beispiel.
FO: Sie bevorzugen auch oft die Form des Aphorismus wie Cioran, könnte es sein, daß diese knappe fragmentarische Form die letzte Möglichkeit ist, der absurden Komplexität und Undurchdenkbarkeit der Welt irgendwie noch quasi in Häppchen beizukommen?
UH: Also meine Hochschätzung des Fragmentarischen rührt natürlich daher, daß man mit dem Fragment, mit dem Aphorismus etwas anrichten kann, und wenn man sich so ein bißchen in der Geschichte der Aphoristik umsieht, dann taucht der Name Francis Bacon auf, und der hat mal gesagt, Aphorismus wäre „knowledge broken“, also zerbrochenes Wissen. Und der hat mit diesem zerbrochenen Wissen im Grunde die Scholastik demontieren wollen. Und die Sprengkraft im Aphorismus liegt darin, da haben Sie schon vollkommen recht, daß er überschaubar ist und daß er im Kopf des Lesenden etwas anrichtet. Also einen Aphorismus kann man nicht – weil das ein Torso, ein Bruchstück ist – den können Sie nicht einfach konsumieren und weitermachen. Sie müssen sich im Kopf in Bewegung setzen, Sie müssen den vervollständigen, Sie müssen sich angucken „was meint der damit?“. Zum Beispiel der letzte Band von Aphorismen, den ich gemacht habe, heißt „Einfallstor“. Da geht es schon los. Da muß sich der Leser überlegen – das heißt einfach „Einfallstor“, da gibt es keinen Artikel – was meint er denn nun, meint er das Einfallstor oder meint er den Einfallstor. Und beides stimmt natürlich. Und da haben Sie beide Komponenten drin. Also die Lust am Lachen, am Verlachen, das Risiko, das man gerne eingeht, sich lächerlich zu machen, das steckt in dem Einfallstor, also in dem Toren, der sich etwas einfallen läßt, und auf der anderen Seite dieses subversive, dieses untergrabende, dieses, ja, etwas in die Welt rufen, was sonst immer rauskomplimentiert wird und nicht zu Wort kommen kann, das steckt in der Metapher vom Einfallstor, durch das etwas einströmt.
FO: Ich denke mir, bei Cioran ist es vielleicht auch so, einerseits das Fragmentarische, andererseits ist die Kürze des Aphorismus gleichzeitig auch wie ein Gebot, so apodiktisches Reden. „Ich habe ein Gebot, und das Gebot hat drei Zeilen.“ Es könnte auch sein „ich brauche nichts mehr weiter erklären, das ist meine Tafel“.
UH: Ja, aber das würde wieder eine Sache unterschlagen, die auch bei Cioran sehr deutlich ist, diese Lust am Selbstuntergraben, an der Paradoxie, an der ironischen Pointe, das sind keine zehn Gebote, die da in die neuer Form in die Welt gesetzt werden, sondern da wird das Denken vorgeführt beim Arbeiten, beim Schuften, in seinen Zwickmühlen, in seiner Unlogik auch, in seinen Sackgassen, und da wird es interessant.
FO: Es gibt von Ihnen einen wunderbaren Satz: „Seid arglos gegen die Zyniker und Nihilisten, die sich in ihren Büchern und Pamphleten ausrasen, aber hütet euch vor Überzeugungstätern und Prinzipienreitern, vor allem, denen hohe Ideale im Kopf herumgehen. Bis ans Ende der Tage werden sie nicht aufhören zu Kreuzzügen aufzuhetzen, Scheiterhaufen anzuzünden. Die gute Absicht und das gute Gewissen macht sie toll.“
UH: Ja.
FO: Dieser Satz gilt heute ja im Kapitalismus hinten und vorne nicht mehr, weil die Kirchen sind zu Sekten verkommen, heißt das, daß der kapitalistische Sieger dieses Herrenmenschentum, das Neue, daß die eigentlich die richtigen sind, dann in dem Fall.
UH: Nein.
FO: Die predigen ja kaum.
UH: Aber die Welt, so wie sie ist, ist doch gekennzeichnet durch einen unstillbaren Tatendurst …
FO: Aber pragmatistischen Tatendurst.
UH: Ja, aber durch ein blindwütiges In-die-Welt-setzen-Müssen, alles, was uns einfällt, das müssen wir ja tun, da ist doch die Literatur ein leuchtendes Vorbild, mein Gott noch mal, alles, was Goethe eingefallen ist – furchtbar dieser Mensch – wenn wir schon mal übers Gedenkjahr an ihn geraten, alles, was ihm eingefallen ist, ist zu Buche geschlagen, ist Papier geworden, bedrucktes Papier, das war’s, wie schön, nichts weiter. Und was Mathematikern einfällt das bleibt nicht Formel, das wird Atommeiler, das wird Architektur, das wird Infrastruktur, Kommunikation und und und und, und diese Verhaltenheit des Künstlerischen, also dies(es) Anhalten, wenn man eine Idee sichtbar gemacht hat, das halte ich für etwas, was gerade in der gegenwärtigen Situation des Fast-alles-machen-Könnens prinzipiell, wegweisend vorbildlich grandios ist. Wir müssen das nur erst einmal wiederentdecken.
FO: Ich würde die Kunst aber nicht ganz so sehr ausnehmen, wie Sie sie jetzt in Schutz nehmen, es wird doch alle paar Jahre das Ende der Kunst ausgerufen, aber sie rurcheln alle weiter weiter weiter.
UH: Ja, es gab ja auch …
FO: … eine unglaubliche Auktionsmanie.
UH: Ja, aber das ist doch ein schöner Leerlauf, der macht nichts kaputt außer ein paar Künstlern und ein paar Galeristen und ein paar Verlegern, sonst macht der doch nichts kaputt. Die Kunst ist die Fähigkeit, in der Tatenlosigkeit mit sich selbst und seinem Kopf glücklich zu werden. Alles, was abkuppelt von dieser Melamaschine, ist wertvoll. [Man sieht, daß die Kunst] manchmal trotz übler Figuren, die da wichtige Ämter ausfüllen, haarscharf am Abgrund vorbeikommt. Nehmen Sie die letzte Erfahrung (: das) Ende des Kalten Krieges, die Verantwortungsträger haben systematisch auf eine apokalyptische Situation zugerüstet, systematisch, und sie ist nicht gekommen, sie ist trotzdem nicht gekommen. Und wenn ich einmal eine ketzerische Bemerkung aufstellen darf: Wissen Sie, warum der Dritte Weltkrieg nicht stattgefunden hat?
FO: Warum?
UH: Er hat nicht stattgefunden, weil er stattgefunden hat. Er hat nämlich in der Kunst stattgefunden. Es hat eine Woge, eine Flut von Weltuntergangs-Szenarien gegeben, Feature, Hörspiel, Film, Roman, Schauspiel, Lyrik und und und und.
FO: Aber gerade haben Sie gesagt, die Kunst ist doch ein wunderbarer Leerlauf, also war der Dritte Weltkrieg ein Leerlauf der Kunst.
UH: Naja, jetzt spekuliere ich mal anders rum. Ich bin aber noch nicht zu Ende mit dieser Idee. Also die Dämonen in uns, und wir haben ja solche Huckaufs, mit denen wir uns rumtreiben, die wollten mal wieder Blut sehen. Und vorm Ersten Weltkrieg hat die Kunst versagt, vom Ersten Weltkrieg war die Kunst Zuhälter. Vorm Zweiten Weltkrieg gab es kritische Stimmen, aber auch da hat die Kunst im Grunde zu wenig Resistenz bewiesen, Gleichschaltungsprozesse, auch da war der Widerspruch nicht ausreichend, aber beim dritten Mal, beim dritten Mal ist es so gewesen, daß der Dämon in uns, der Blut sehen wollte, soviel Blut zu sehen bekommen hat, prachtvolle Testexplosionen in Cinemascope, Schwängstricktechnik über Ruinenfelder sondergleichen, der ist so satt gewesen, der brauchte die Wirklichkeit überhaupt nicht mehr.
FO: Das heißt, wir verdanken Mad Max Teil 1, 2, 3 die Tatsache, daß es doch dann nicht geklappt hat.
UH: Daß wir noch da sind.
FO: Können Sie sich eigentlich wirklich ein – letzte Frage – eine Welt vorstellen, die vollkommen menschenleer ist, ist das überhaupt denkmöglich?
UH: Ja.
FO: Die Tiere sind auch weg. Nur mehr Mineralien.
UH: Ja.
FO: Quarz.
UH: Mond. Das kann man sich vorstellen.
FO: Ist das wirklich eine schöne, beruhigende Vorstellung? Abgesehen davon, daß sie unendlich diktatorisch ist.
UH: Das ist der Anfang und das Ende, das ist das A und O.
FO: Da habe ich nichts mehr drauf zu sagen.