Abdrift. Neue Essays. (2000)

Man kann exakt Kurs halten und doch Schiffbruch erleiden – wenn man die Strömungen nicht mit einkalkuliert und die Eigenbewegung des Durchkreuzten mißachtet. Horstmanns neuer Essayband „Abdrift“ beobachtet solche Versetzungsbewegungen, bei denen unsere zielsichere Vernunft auf Grund läuft: nach der übertakelten Jahrtausendwende und vor der medizinischen Totaloperation, während eines Anfalls digitaler Visualisierungswut und inmitten der Elmsfeuer der Sucht.

Abdrift. Neue Essays. Igel Verlag, Oldenburg 2000.

 

Pressestimmen

Die neuen Essays des Kleist-Preisträgers sind weitere Stücke seiner Melancholie-Forschung und wie schon die Vorgänger „Das Untier“ (1983, Taschenbuchausgabe 1998) und „Ansichten vom Großen Umsonst“ (1991) mit robustem Humor und subtiler Formulierungskunst geschrieben. Das Abkommen ins Abschüssige, sei es im Zuge des Trinkens oder der Utopie, hat man selten so kundig und empörend vergnüglich erfahren. Robert Burton, Thomas Morus, Daniel Defoe und Nietzsche, Computerschelte, das versteht sich, und „Die Geburt der Philologie aus dem Katzenjammer“, kurz: „Melancholie und Essays“ bzw. „Schwermut federleicht“ sind die Anlässe dieses ebenso gebildeten wie inspirierten Rum-Moserns, dessen lustvolles Auftrumpfen man in der Tradition Chestertons wahrnehmen sollte: in Gesellschaft von Autoren also, die so frei sind, sich für jedes Wort Zeit zu nehmen und frei von der Leber zu reden, ohne dauernd Leberhaken austeilen, sprich: lieblos sein zu müssen. Und welch ein Connaisseur Horstmann ist, zeigen seine Zitate: gute alte Bekannte und solche, die man immer schon einmal treffen wollte, kommen vor und gesellen sich großzügig zu den bedauerlichen, irgendwie froh-galligen Expertisen des Marburger Schwarzarbeiters, so dass man jeweils ein Stückchen oder ein halbes, die klassischen Essay-Strecken, in bester Gesellschaft ist, das heißt in der, die man verdient.

Hugo Dittberner: Rezension zu „Abdrift“. Erschienen im Rahmen der „Sieben Göttinger Literaturtipps“, Nr. 11 (November 2000), auf der Homepage der edition text+kritik, www.etk-muenchen.de.

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Die Apokalypse preist Ulrich Horstmann, der ehedem die Geißel über dem „Untier“ Mensch schwang und das anthropofugale Denken entwickelte, schon lange nicht mehr. Der einstige Propagandist des Weltuntergangs hat sich selbst zum Kultur- und Zeitkritiker domestiziert, der – mit Céline – beklagt, „daß es mit Wesen, wie wir es sind, nicht gut gehen konnte und nicht gut werden wird“. Immerhin, kein Fünkchen Trost mag Horstmann spenden. „Kein Fünkchen! Denn wir sitzen auf dem Pulverfaß.“ Zu Zeiten des Untiers hätte er hingegen vielleicht bedauert, dass das Pulver feucht geworden ist. Geblieben ist ihm jedenfalls die eloquente Scharfzüngigkeit, die seine Schriften schon immer auszeichnete, wie einige der Texte seiner jüngst publizierten Essaysammlung „Abdrift“ unter Beweis stellen. Auch hat er sich den melancholischen Gestus bewahrt. Doch bleibt man seltsam unberührt, als sei da nichts Neues unter der schwarzen Sonne.

Rolf Löchel: Kunst und Krankheit. Ulrich Horstmanns diagnostische Lektüren. In: literaturkritik.de, 3. Jahrgang, Nr. 7, 2001, S. 74-77.

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In Aufsätzen aus dem letzten Jahrzehnt wandelt der dichtende Professor der Anglistik auf den Spuren des dichtenden Arztes Gottfried Benn. Ähnlich sind die Themen: die Geburt der Kunst aus der Schwermut und der Stimulanziengebrauch der Genies. So untersucht Horstmann die Wege und Werke britischer Künstler, die sich zu Tode trinken oder nach der „Trockenlegung“ verfallen. Neben der Erforschung kreativer Stimmungen widmen sich die geistreich funkelnden Studien des Marburger (vor dem Münsteraner) Gelehrten der Kultur- und Wissenschaftskritik. Die Jahrhundertwende löst bei ihm keinen Jubel aus, sondern Katzenjammer, weil jede schöne Utopie schon ausgeträumt ist. Das wird untermauert durch die Musterung der Zukunftsentwürfe von Thomas Morus, Daniel Defoe und Friedrich Nietzsche. Aus der Quelle trüber Schwarzgalligkeit speist sich die um Klärung bemühte Sprachartistik des unkenden Querdenkers. Bei ihm gibt es nichts zu lachen, nichts zu erwarten als die nächste flapsige und flotte Pointe.

Gert Oberembt: Rezension zu „Abdrift“. In: Westfalenspiegel, 50. Jahrgang, Nr. 2, 2001, S. 51.

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Max Lorenzen: Bedingungen nihilistischer Kreativität. Zwei neue Bücher von Ulrich Horstmann. In: philosophia-online.de (= Marburger Forum. Beiträge zur geistigen Situation der Gegenwart.), April 2001. Manuskript als PDF