Liquidisierung

Von der Trunksucht. Unter literaturhistorischer Perspektive wie im Selbstversuch.

 

Urplötzlich das Bedürfnis nach Alkohol. Heute morgen läßt der Zensor mit sich reden. Steintal geht zu einem der Stände und verlangt ein Fläschchen Magenbitter. Zwei Mundvoll. Der kurze stichelnde Kontakt mit der Parodontose. Bauchthermik. Ein hartnäckiger süßer Nachgeschmack.

Aus: Steintals Vandalenpark. Erzählung. Obertshausen 1976.

* * *

Was charakterisierte den desolaten Zustand der Poesie schlagender als der unaufhaltsame Niedergang einer so lebensprallen Gattung wie der des Saufliedes.

Aus: Hirnschlag. Aphorismen – Abtestate – Berserkasmen. Göttingen 1984.

* * *

Magnus L. Äpfle bevorzugt Bier, und zwar in größeren Mengen. Die Hintergrundlektüre seiner Solo-Bacchanalien liefern die Klassiker der abendländischen Philosophiegeschichte, die neuerdings auch aus dem Wettstreit mit ganz der weiblichen res extensa gewidmeten Hochglanzmagazinen hervorgegangen sind. Zur vierten Flasche wählt Äpfle aus den Essais des Monsieur Michel de Montaigne das dreiunddreißigste Kapitel „Über die Kannibalen“. (…) Äpfle rülpst und spürt das beglückende Gefühl der Seelenverwandtschaft und jenes tiefe Einverständnis in sich aufsteigen, das ihn mit den Nachdenkenden aller Epochen verbindet.

Aus: Das Glück von OmB’assa. Roman. Frankfurt am Main 1985.

* * *

Suff

Mein Mondgesicht
zieht seine Flut
aus plumpen Flaschenhälsen
die hebt den Körper
sanftgemut
vom schroffen Tagesfelsen
und fährt ihn draußen hin und her
da wiegen sacht die Sterne
wenn aller Tage Abend wär
versänk ich hier wohl gerne
ließ reden den der’s kommen sah
mit meiner lecken Seele
und driftete der Gärung nah
ganz prall durch Schlickkanäle

Aus: Schwedentrunk. Gedichte. Frankfurt am Main 1989.

* * *

Vorerst aber gab die Sirene wieder Ruhe. Jupp blieb verschwunden. Und Steinchen stieß die Leiter zu Boden, um unsere Versorgungslage wenigstens notdürftig zu verschleiern. Er drehte eine Flasche auf, nahm einen gewaltigen Schluck, seufzte und reichte sie mir herüber. „Siehst du, fließt bergauf und bergrunter, ganz nach Wunsch.“ Ich konnte nach allem, was passiert war, eine Stärkung gebrauchen, ließ mich nicht lange bitten und setzte an. „Und gleich noch einen, Patzer, damit du sozusagen keine Schlagseite entwickelst.“ Der Schnaps brannte im Magen, aber die Pommes frites hatten das Fegefeuer siedenden Altöls hinter sich und leisteten hinhaltend Widerstand. Ich flutete sie zum dritten Mal. Steinchen winkte sich die Flasche zurück.

Aus: Patzer. Roman. Zürich 1990.

* * *

Es war Quartalsliterat, und das stand ihm zwischen den Rückfällen wie mit eingetrockneter Tinte ins Gesicht geschrieben.

Der schönste Teil des Tages beginnt abends beim Öffnen der Flaschenpost.

Aus: Infernodrom. Programm-Mittschnitte aus dreizehn Jahren. Paderborn 1994.

* * *

Nachfassen am Kiosk

Die Brüste hier sind bloß,
die Brüste hier sind bloß
Papier und von hinten
beschriftet; Achmed legt der Auslage
in der Auslage zwei Flaschen an.
Die ziehe ich vorsichtig
zu mir herüber und lasse das Fleisch
unangetastet. Diese Fülle
hinter Glas. Aber hallo.
Darauf trinken wir einen.
Wie ein schwereloser Kronkorken
unter der Straßenlaterne
geht über dem Flaschenboden,
geht über dem laschen Hoden,
die Säufersonne auf.

Aus. Altstadt mit Skins. Gedichte. Paderborn 1995.

* * *

Fünf Stunden hoher Senat – eine Orgie von Verwaltungsakten. Mein Körper füllt seine Zwangsjacke mit den beißenden Ausdünstungen der Wildbahn und kehrt erst abends zu einer zivilisierten Form der Anwesenheit zurück, als ich ihn mit einer warmen Dusche und der Aussicht auf eine Kneipkur versöhnlich gestimmt habe.

Das Bier hatte keine Tiefenschärfe; dafür verschloß man sich drei Gläser später nicht mehr der Einsicht, daß die schönsten Uhren zeitlos seien.

Aus: Einfallstor. Neue Aphorismen. Oldenburg 1998.

* * *

Schon haben wir also die Liason dangereuse zwischen Tremendum und Tremens, Musenkuß und Schluckreflex vor Augen, ohne die das Museum der Meisterwerke um manches Exponat ärmer wäre. (…) Eine offenbar auch durch schamlosen Voyeurismus nicht aus der Welt zu schaffende sittliche Entrüstung macht sich breit, sobald hinter beachtlichen oder gar „begnadeten“ Leistungen menschliche Wracks auftauchen, und sie läßt es sich angelegen sein, diese entweder mit postmoderner Humanität in den Heilschlaf zu verabschieden oder aber in Low-Tech-Kontexten die menschlichen Überreste (…) zu entsorgen. Ich verhehle nicht, daß mir die bei solchen Operationen zur Schau gestellte Leichenbittermiene nicht behagt und daß es mir die Kehle zuschnürt, wenn einige besonders gewissenhafte Mitmenschen sich auch noch prämortal als ästhetische Prohibitionisten einmischen.

Aus: Abdrift. Neue Essays. Oldenburg 2000.

* * *

VII.

Was ist der größte Knall?
Der Blech nicht schadet,
nicht vom Leder zieht
und auch sein Pulver nicht verschossen hat.
Ursächlich sind in diesem Fall
Drahtbügel, Gummi, Porzellan nebst
einem fixen Daumen, der
JAWOLLJA
jetzo
hat die Schwerkraft ihn,
den Knall,
denn alles fließt bergab,
doch ihr steigt’s in die Krone.
Schaumschlägerin,
du feuchte Schwester,
daß du uns hier nicht hängen läßt,
das ist ein feiner Zug,
der nie auf freier Strecke hält,
die Mienen nicht quertreibt,
Beschwingten die Route freistellt.
Doch Flaschen vermehrt er
wie Frauen im Flug.
Hat man erst eine am Hals,
gluckst es,
kommen unweigerlich schon
die nächsten
aus der Kiste.

Aus: Göttinnen, leicht verderblich. Gedichte. Oldenburg 2000