Unter Rotlicht

Pornographie und Prostitution. Ein Lieblingsthema Horstmanns, intoniert in bisweilen drastischen Tönen.

 

„Wohnt hier eine, die billig ist?“, fragte Stainer.
Der Mann blinzelte verbissen ins grelle Licht.
Ich gab ihm Geld.
Er schob es hastig in die Tasche.
„Na“, sagte Stainer.
„Es gibt eine“, sagte der Tankwart, „wohnt im nächsten Dorf – zehn Kilometer.“
Stainer bezahlte das Benzin.
Als wir losfuhren, rief uns der Tankwart nach: „Fragt nach Gritta!“

Aus: Klaus Steintal (Pseud.). „Er starb aus freiem Entschluß“. Ein Schriftwechsel mit Nekropolis. Obertshausen 1976.

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Wirt: „Bestens. Da kommt ihr Pils (stellt ihm das Bier hin). Ich kenne mich nämlich aus hier. Kneipen, Hinterzimmer, Spielhöllen, Puffs und Porno. Alles, was das Herz begehrt. Angebote für jeden Geschmack. Theaterprogramm oder heiße Angebote für Sodomisten, Avantgarde und a tergo, alles abrufbereit, wissen Sie. Wenn ich Ihnen also in irgendeiner Weise behilflich sein kann – für eine kleine Provision läßt sich alles beschaffen. Von 12 bis 82, alle vier Geschlechter, Tiere von hohem Dressurstand, Maschinchen für den kleineren Geldbeutel und großen Genuß und vieles mehr. Sind Sie interessiert?“

Aus: Kopfstand oder Über die Schwierigkeiten beim Anpassen der Prothese. In: Beschwörung Schattenreich. Theaterstücke und Hörspiele 1978 bis 1990. Paderborn 1996.

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Die übliche Taxi-Odyssee von Adresse zu Adresse. Dann endlich ein handfestes Angebot. Weinrich telefoniert.
„Klappt“, sagt er beim Einsteigen.
Eine Kneipe in einem Vorort. Der Wirt geht vor in den ersten Stock. Hinter der Etagentür eine Privatwohnung, Einrichtung aus dem Versandkatalog.
Eine junge Frau im Wohnzimmer – fünfundzwanzig vielleicht.
„Sie ist schon weit im achten“, sagt der Wirt, „da müssen Sie schon etwas vorsichtig sein.“
Steintal nickt. Die Frau lächelt aus dem Sessel herauf.

Aus: Steintals Vandalenpark. Erzählung. Siegen 1981.

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XXXIII

vom urbanen Puff
hat der Bodenzünder
nur den Kontakthof
überdauern lassen
den Nutten selbst
ist es zu heiß
zwischen die Beine gefahren
beim allersteilsten
Globalorgasmus
als zwischenzeitlich
die Verhütungsmittel
abgesetzt waren
und das eigene Fleisch
wie Samenschleim
aus dem Becken rann

Aus: Nachgedichte. Miniaturen aus der Menschenleere. Essen 1981.

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Auf dem Wochenmarkt: Nach Brot, Fleisch und Obst endlich die Pornostände. Welch eine Farbenpracht, welche Gerüche, welche Vielfalt von Geschlechterwerkzeugen, welch schamloser Exhibitionismus. Die Wahl fällt schwer. Auf dem Korb einen üppigen Frühlingsstrauß reißt man sich schließlich los von all den Stempeln, Blütenblättern, Pollen und Staubbeuteln und trollt sich mit seinen langstieligen Obszönitäten nach Hause.“

Aus: Hirnschlag. Aphorismen – Abtestate – Berserkasmen. Göttingen 1984.

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Als Tilla Gerber nach mehr als einer Stunde aus dem 18. Jahrhundert in die Gegenwart zurückkehrt und das Assistentenzimmer Prof. Dr. Edmund Hudlers betritt, bietet sich ihr ein Bild der Verwüstung. Akten sind aus den Regalen geworfen, die Schreibtische leergefegt, Stühle umgestürzt. Auf dem Boden ein Chaos von Ordnern, Büchern, Blättern, Schreibutensilien, Kohlepapier und Kleidungsstücken – und dazwischen übereinander die nackten und schweißnassen Körper von Pater Immi und Miriam N’Gwarongo. Tilla Gerber macht zwei Schritte in den Raum auf die beiden zu, besinnt sich dann eines Besseren und will umkehren, als Miriam die Augen öffnet und sie heranwinkt. „Wie sagt man … Wiedersehensfreude, weißt du. – Aber nicht weitererzählen, versprochen?“ „Versprochen“, wiederholt die fassungslose Bekannte.

Aus: Das Glück von OmB’assa. Phantastischer Roman. Frankfurt am Main 1985.

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Abzählreim für tolerante Paare

Die ist ganz prall von Haut umfangen
der preist sein Fleisch als abgehangen
bar brüstet sich Martinas Po
den Nachbarn stützt ein Video
der Neue gliedert sich schon ein
die Blonde blüht im Kämmerlein
da geht ein Dreibein ein und aus
und schickt Dich raus

Aus: Schwedentrunk. Gedichte. Frankfurt am Main 1989.

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Reden wir nicht von der erotischen Ausstrahlung jenes geringgeschätzten, wenn nicht verunglimpften Körperteils, das sich dort zwischen den Zähnen hervorwagte, über die Oberlippe tänzelte und mit koketter Schüchternheit weiter und weiter … Meine Sprechorgane mochten gelähmt sein, andere Werkzeuge aber erwiesen sich weiterhin als einsatzbereit. Noch einen Augenblick länger, und ich hätte das prächtige Ahornblatt, das sich vor noch nicht vierundzwanzig Stunden auf dem Regenwasserkanal eingeschifft hatte, auf eine ebenso malerische wie notdürftige Weise in Anspruch nehmen können.

Aus: Patzer. Roman. Zürich 1990.

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Rückfahrt vom Dienst.
Ehmann sitzt neben mir.
Hat wieder Schwierigkeiten mit ihrem Mann. Hantiere mit ihr wie mit einer Puppe oder einem entseelten Körper, wenn er überhaupt komme, sagte sie. Und Alkohol mache es noch schlimmer. In Wirklichkeit brauche sie Wärme, Gefühlskontakt.
Ich biege in den Waldweg, fahre unter die Tannen.
Habe große Mühe, im Schnee die Stelle wiederzufinden.
Miranda Ehmann redet.
Nein. Keine neue Spuren. Alles unangetastet, Niemand, der Verdacht geschöpft und nachgegraben hätte.
Ich fühle mich erleichtert.
Ehmann fragt, warum wir hier im Wald herumlaufen und ob mir nichts Besseres einfiele.
Ich tue ihr den Gefallen.
Rücksitz. Laufender Motor.
Offenbar hat sie tatsächlich einiges nachzuholen.
Als ich ejakuliere, zuckt sie zusammen.
„Eiskalt“, sagt sie.
Den Rest mache ich ihr mit der Hand.
Zu Hause bittet mich ihr Mann auf ein Glas herein.
Amateurastronom.
Jetzt im Winter sei natürlich die günstigste Zeit, die Kürze der Tage, die Klarheit des Nachthimmels.
Ich verbringe fast den ganzen Abend unter dem weit geöffneten Dachfenster.
Cognac und Beteigeuze.

Aus: Oh Entropie sagt Caliban. In: Konservatorium. Geschichten über kurz oder lang. Paderborn 1995.

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Das Wort Hodensack mag immerhin noch vom pingeligen Bemühen zeugen, Unansehnliches schönzureden. Aber „Brustwarze“ ist eine sprachliche Gemeinheit, wie jeder zugeben muß, er sie auch nur einmal in den Mund genommen hat.

Aus: Einfallstor. Neue Aphorismen. Oldenburg 1998.

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I.

Per Knopfdruck tauche ich
aus der Versenkung auf,
gewinne summend an Höhe,
übersteige,
noch vom Rotlicht benommen
und hingestreckt,
Ninas Oberschenkel, Ninas Unterleib,
die verkittelten Anlaufstellen männlichen Tiefsinns,
der aber bei ihr nichts fruchten darf,
hebe mich schon
über Ninas Hüften hinweg,
komme ganz lässig,
komme ganz unaufgeregt
auf den Punkt,
an dem sie abgenabelt wurde,
an dem sie sich noch kerngesund schloß,
an dem sie mich jetzt per Knopfdruck
ohne Mucken, ohne Rucken
justiert.

Aus: Göttinnen, leicht verderblich. Gedichte. Oldenburg 2000.

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II.

Was heißt hier Päderast,
Herr Vorsitzender, so’n un-
geschlachtes Wort für diese Bande.
Lasset die Kindlein zu mir kommen,
steht geschrieben,
und wehret ihnen nicht.
Genau so war’s.
Nix hab ich angezettelt,
nix hab ich eingefädelt,
nix auf dem Gewissen, Herr Vorsitzender. Mein Hand drauf!
Die sind zu mir gekommen, so war’s.
Erst eine, dann zwei, drei.
Nicht nur wegen Süßigkeiten, auch wegen
Zuwendung und so. Ist doch ein Unterschied
zwischen Fernseher und Mensch.
Na ja, und kleine Ausflüge,
in aller Öffentlichkeit, Herr Richter,
war nix Heimliches dran.
Nur langsam sind die Ansprüche gestiegen
bei denen.
Wenn das eine geht, warum geht dann
das andere nicht,
war die Frage.

Aus: Göttinnen, leicht verderblich. Gedichte. Oldenburg 2000.

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VI.

Obzwar schon Monate im Sattel
liegt sie mir heute
stumm zu Füßen,
die Domina Magnifizenz.
Frau Präsident,
unübersehbar pralle
Hochschulreife unter dem Kostüm,
so hochgestellt am Boden?
Deine Galionsfigur,
aus hartem Holz geschnitzt,
gremiengestählt,
hinter der Mensa ausgelegt und
fast schon im Gebüsch?
Rauhreif deckt deine fremd bestimmten Züge,
das immerhin paßt mir ins Bild.
Denn damals warst du nicht
entscheidungsträger und doch schmolz Ärger
fast wie Schnee auf dem Gesicht.
Ich seh dich noch bikinisiert in Santander;
der Strand, verölt, wird jeden Tag planiert.
Na und, als Strandkorb langt die Raupenschaufel.
Jetzt bist du Sauberfrau und
akademisch fürs Großreinemachen.
Jetzt hat ein Nachspiel,
was dir nicht behagt.
Mein Gott, so war das nicht gemeint,
als ich dir tief im Privatissimum
ein Alma mater
um nicht aufgenähte Knöpfe schrieb.
Da unten liegst du hochgeschlossen.
Amtseingeführt,
die Kette der Verpflichtung
um den Hals.
Das Presseecho war ganz ungemein.
Und der Artikel da mit deinem Bild
ging auch im Fachbereich von Hand zu Hand.
Ein renommiertes Magazin, wie vorzeigbar,
High-brow-Organ,
das alles besser weiß und keine Ahnung hat,
wie früh und umumwunden
du mal woanders abgelichtet warst,
Kunstdruckpapier und ausfaltbar.

Aus: Göttinnen, leicht verderblich. Gedichte. Oldenburg 2000.