Mondheimat

Visionen eines befriedeten, ergo „vermondeten“ Planeten

 

VERSONNEN

auf feinädrigen blättern kugelt der tau
in den tropfen
gebrochenes
sich vertausendes licht
SONNENAUFGANG
von den rippen verbläst der staub
ein hauch geht durch die flußtäler
und rötet die steine
am grund
nach diesem SONNTAG
ist der mond
für immer zum spiegel geworden
in der letzten
kopernikanischen wende
mürrisch
haben wir frieden gemacht

Aus: Wortkadavericon oder Kleine thermonukleare Versschule für jedermann. Köln; Leverkusen 1977.

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ERMANNEN WIR UNS UND MACHEN WIR DEN MOND VON EINEM IDEAL ZU EINEM EWIGEN SPIEGEL UNSERES BEFREITEN PLANETEN!

Aus: Über die atomare Teleologie und die Geschichte oder Bericht für eine Akademie. In: Nicolas Born/Jürgen Manthey (Hrsg.). Literaturmagazin 8. Die Sprache des Großen Bruders. Reinbek bei Hamburg 1977.

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XLIV

der Waffenstillstand
ist unverbrüchlich
als Spiegel
steigt der Mond
aus den Kratern
die Opfer
sind vergessen
über der Schönheit
der Trümmerstädte
der letzte Krieg
hatte sein Gutes
so friedlich strahlt
das Niemandsland

Aus: Nachgedichte. Miniaturen aus der Menschenleere. Essen 1981.

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Den Nachruf setzt die anthropofugale Vernunft zu Lebzeiten auf, und billigerweise wird er seine Urheberin nicht überdauern. Doch die Materie ist großmütig und hat uns von Urbeginn ein Mahnmal an den Himmel gerückt, daß uns fürderhin zugleich zum kosmischen Grabstein und Triumphbogen taugen soll: Nacht für Nacht steigt der Mond über den Horizont und stellt uns in schroffer und makelloser Schönheit die irdische Nachgeschichte paradiesisch vor Augen. Ermannen wir uns! Überführen wir sein transzendentales Ideal in die sublumare Wirklichkeit! Vermonden wir unseren stoffwechselsiechen Planeten! Denn nicht bevor sich die Sichel des Trabanten hienieden in tausend Kraterseen spiegelt, nicht bevor Vor- und Nachbild, Mond und Welt, ununterscheidbar geworden sind und Quarzkristalle über den Abgrund einander zublinzeln im Sternenlicht, nicht bevor die letzte Oase verödet, der letzte Seufzer verklungen, der letzte Keim verdorrt ist, wird wieder Eden sein auf Erden.

Aus: Das Untier. Konturen einer Philosophie der Menschenflucht. Wien; Berlin 1983.

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„Mondsüchtig“ (…) sind wir alle nur deshalb, weil uns dieser Körper Nacht für Nacht unsere eigene planetarische Zukunft vor Augen stellt und uns die verkratert-leblose Öde am Himmel aufzieht, an der auch die Erde dank unserer Militärs über kurz oder lang teilhaben wird. Beruhigend, sich vorzustellen, daß dann über den unverwüstlichen Astronautenfußstapfen im lunaren Staub ein neuer, größerer Mond aufgehen wird, auf dem die Spuren unserer Gattungsexistenz für immer getilgt sind.

Vom Mond ist der Anblick der Erde erträglich; mehr noch, ein Erdaufgang hat, darf man den mitgebrachten Fotos trauen, etwas rührend Pastorales. Grundlage dieses Affektes allerdings ist nicht, wie man annehmen könnte, ein sozusagen kosmisches Heimweh, sondern im Gegenteil die uneingestandene Erleichterung, entronnen zu sein.

Aus: Hirnschlag. Aphorismen – Abtestate – Bersakasmen. Göttingen 1984.

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Nicht gut für dich

Das Brüten ist nicht gut für dich,
auch andere Sterne sinken,
stoß ab, wirf weg, verbeiß dich nicht,
dann gehen wir einen trinken.

Das Bier, das ist nicht gut für dich,
dir zittern ja die Hände.
Ich weiß, sie wäre außer sich,
wenn sie uns hier so fände.

Die Frau, die ist nicht gut für dich,
kein Herz und keine Seele,
die Zeit ist reif, mach einen Strich,
wer gibt dir denn Befehle?

Die Zeit, die ist nicht gut für dich,
ihr Gift kriecht in die Knochen.
Die Welt verheizen – fortschrittlich –
und sich sein Süppchen kochen.

Die Welt, die ist nicht gut für dich,
Ein Knopfdruck bringt die Wende,
dann liegt ein Mond im Mondeslicht,
dein Stern strahlt ohne Ende.

Aus: Schwedentrunk. Gedichte. Frankfurt am Main 1989.