Das Untier. Konturen einer Philosohie der Menschenflucht. (2004-2016, 1999, 1985–1998, 1983)

Nur schwer wird man sich dessen enthalten können, den Autor als Ketzer, seiner Thesen als blasphemisch zu brandmarken. Gilt ihm doch das Leben der menschlichen Gattung nicht nur nicht mehr als erhaltenswert, sondern erscheint ihm die menschenleere, vermoderte Welt auch als überaus wünschbar und plädiert er offen und ohne jede Ironie für die unwiderrufliche Abschaffung des Menschen.

Das Untier. Konturen einer Philosophie der Menschenflucht. Medusa Verlag, Berlin 1983.

Neuausgabe Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main. 1. Auflage 1985–6. Auflage 1998.

Illustrierte Ausgabe von Jutta Nelißen (Diplomarbeit, FH Darmstadt, WS 1999/2000)

Neuausgabe Verlag Johannes G. Hoof, Warendorf 2004–2016.

Als Hörbuch: Vorgetragen von Erich Räuker. 4 Audio CDs. weltenton, Großbeeren 2012.

Ulrich Horstmann – Das Untier als PDF

 

Pressestimmen

Noch scheinbar Unvereinbarstes vermag aus solcher „orbitalen“, distanzierten, angeblich vorurteilsfreien Sicht sich zu verknüpfen (…). Schopenhauer und Hartmann, Nietzsche und Freud und später freilich auch Spengler und Klages folgen in dieser einsinnig-sinistren Kette, deren Beschreibung in ihrer polemischen Verknappung, in der satirischen Übertreibung und Verkehrung zuweilen auch das Vokabular des Unmenschen („Endlösung“, „Entartung“ usw.) streift. Indessen fragt es sich, ob z. B. die Überspitzung, mit der Horstmann an Spenglers Verfalls-Vorstellung den abendländischen „Partialismus“ rügt, solchem Denken nicht wirklich die Spitze bricht. Warum nicht gleich den Unmensch selber nennen und mit anthropofugaler Gründlichkeit dessen bloß partialen Rassismus kritisieren? (…) Als begabter Satiriker hat Horstmann die Widerstände eingebaut, ohne die allzu leicht hinterm zynischen Ketzer der warnende Menschenfreund sich vernehmen ließe. Als schmalbrüstiger Philosoph allerdings kehrt er eher den Reaktionär hervor, der seine anthropofugale Satire nur im ontologischen Sumpf, in der flauen Beschwörung des „Eigentlichen“ zu begründen weiß. Und nicht viel mehr als epigonal wirkt, wo er das lyrische Pathos eines Nietzsche nachspricht.

Marleen Stoessel: Der flüchtige Mensch. In: Süddeutsche Zeitung, 11.06.1983.

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Schon im Motto wird die Ambiguität des gedanklichen Unternehmens offenbar: Pascals Aperçu, der Philosophie spotten heiße wahrhaft philosophieren, figuriert als Polarstern der Reise. Gewidmet ist das Buch dem Ungeborenen sowie, mit überdeutlichem Hinweis auf Swift, „jenen Yahoos“ (…), „die Wissenschaft von Satire wohl zu unterscheiden vermögen“. Damit wird humanistischen Kritikern, die das Ganze als Satire vereinnahmen oder als Zynismus abtun wollen, von vornherein eine lange Nase gemacht. Das funktioniert perfekt, weil Horstmann, wie der Hase mit seiner Frau gegen den Swinegel, ein doppeltes Spiel spielt. So erscheint die gesamte Menschheitsgeschichte zwar – antiteleologisch – als sinnloses Morden und Schlachten; zugleich jedoch werden die bisherigen Kriege – teleologisch – als Vorübungen für das Endziel gesehen, alles Leben willkürlich auszulöschen. So lehnt Horstmann – antihumanistisch – jeglichen Anthropomorphismus ab, plädiert sogar dafür, jenseits allen Gattungsnarzißmus selbst die Insekten mitauszurotten; Grundlage dieses Plädoyers ist aber – humanistisch – Mitleiden mit der unglücklichen Kreatur. (…) Die todessüchtige Optik des Buches beruht auf einem raffinierten Verwirrspiel mit Prämissen abendländischen Denkens, mit dem vorherrschenden Glauben an eine vernünftige Entwicklung der Welt und an den Menschen als erhabenes Wesen. Wie sein wichtigster Gewährsmann E. M. Cioran findet sich Horstmann nicht achselzuckend mit dem banalen Ende verbindlicher Moralität und rationalistischer Fortschrittsmetaphysik ab, sondern kehrt diese hehren Ideen gegen sich selbst, ständig changierend zwischen positiver und negativer Utopie, zwischen gnadenlos realistischer und glücksverheißend satirischer Ebene. (…) Das Wesentliche über den rationalistischen Mythos von der bannenden Kraft des Wortes ist in der „Dialektik der Aufklärung“ gesagt. In deren unendlichen Spiralen kreist auch Horstmann und genießt, was philosophisch noch zu genießen ist: den luziden Wahnsinn von Unentscheidbarkeit.

Ulrich Irion: Alles Schlechte! Ulrich Horstmanns Abgesang auf „Das Untier“ Mensch. In: Frankfurter Rundschau, 05.07.1983.

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Die Friedensbewegung und die immer noch zu ängstlichen Politiker und Militärs stehen dem (der totalen Erlösung) immer noch im Wege, aber auch sie werden dem geheimen Wunsch aller, den alle leugnen, nicht mehr lange widerstehen können. Letzteres ist in etwa die Quintessenz des jungen Münsteraner Philosophen Ulrich Horstmann, dessen Essay in der moralparfümierten geistigen Landschaft der Bundesrepublik durch seine Radikalität und seine elegante Schnoddrigkeit auffällt. Der gelegentlich dekadent-pathetische Ton (…) mindert das bösartige Lesevergnügen ein wenig. Und ist es nötig, daß Horstmann, ganz braver Sohn der Alma Mater, all die Scharteken der Außenseiterphilosophen mitschleppt? Doch so leistet er immerhin eine Anthologie der Sehnsucht nach dem Ende. (…) Ist denn das Zuendeführen des Werkes in Horstmanns Sinn ohne solche Spekulationen denkbar? Die Ausrottung der Menschheit wird unter humanitären Parolen erfolgen oder sie wird nicht gelingen. Horstmann scheut leider den Gedanken, ob nicht die von ihm geforderte Ausbreitung des anthropofugalen Denkens – aufgrund der dann entstehenden Gleichgültigkeit – das größte aller Hindernisse für die anthropofugale Sehnsucht wäre. (…) Die Pointe ist (…), daß das anthropofugale Denken gerade keine Garantie dafür bietet, daß „unsere Spezies bis auf das letzte Exemplar“ vertilgt wird. Wer will, daß die Qual aufhört, legt sich eher aufs Sofa, als daß er den Helmriemen festzieht. Horstmanns Programm wird nicht von seinesgleichen verwirklicht werden, sondern von den Täternaturen, die es immer noch gibt.

Günter Maschke: Daß wir besser nicht da wären. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.08.1983.

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Horstmanns Argumentationsgang basiert auf der Annahme eben der Prämisse, die sie der kritischen Befragung entzieht: dass alles zum Zweck des Untergangs geschehe. Derartige Apologetik ist unwiderleglich: sie hat sich die Nichtfalsifizierbarkeit spekulativer Grundsätze immer schon garantiert. So freilich kann man alles beweisen; Dänikens Theorie intergalaktischer Gründung terrestrischer Frühkulturen folgt etwa dem gleichen Muster. Unser furchtlos „anthropofugal“ denkender Denker entflieht zwar den Regeln sinnvoller Diskurse, aber er beherrscht das Repertoire sophistischer Dialektik. Sein letzter Trick ist das Wort zu Beginn des Buchs: jenen nämlich sei seine Schrift gewidmet, die „Wissenschaft von Satire“ wohl zu unterscheiden wüssten. Will also Horstmann der schwarzen Larve seines Untiers doch noch den Schmetterling Hoffnung entschlüpfen lassen? Soll seine Kritik der Gegenwart schließlich doch die Zukunft des Menschen und eine menschliche Zukunft retten? Wer weiß es? Niemand. Der redliche Horstmann sorgt dafür, dass er nicht zu fassen ist. (…) Wie immer man auslegt, Horstmann verhält sich zu seinem Leser wie der legendäre Hase zum Igel: er ist immer schon auf beiden Seiten und behält so stets das letzte Wort. Horstmanns „Narzissmus der letzen Worte“ ist symptomatisch. Für ihn ebenso wie für die Wendung gegen alle Rationalität, die unsere wissenschaftlich-technische Zivilisation seit einigen Jahren bestimmt. Scheinbar von luzider Rationalität, die alle Naivität verdampft hat, ist Horstmanns Spekulation über die Nichtigkeit vernünftigen Fortschritts nur das Dokument einer Unfähigkeit zur Selbstdistanzierung: einer Unfähigkeit, mit der unvermeidlichen Einsicht in die Hinfälligkeit der menschlichen, also der eigenen Vernunft auch den Wunsch nach restlos allmächtigem Wissen zu verwinden, der die Versuchung jedes Denkens ist, das endlich ans Ganze gehen, also philosophisch sein möchte. Die absolut gewordene Vernunftskepsis, die im geschichtlichen Prozess nur mehr den dunklen Trieb nach Macht und Selbstzerstörung zu erkennen vermag, ist die in die totale Negation verkleidete Wiederkehr einer narzisstischen Rationalitätshoffnung, die ihren Omnipotenzträumen nicht entraten will. Schwarze statt weiße Magie; heillos, weil selbstverliebt.

Georg Kohler: Das Untier und der Narzissmus der letzten Worte. In: Neue Zürcher Zeitung, 01.01.1984.

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Bei der Lektüre der Schrift über das sogenannte Untier, die anfänglich wie eine makabre Satire gegen das Wettrüsten anmutet, wird einem klar, daß Professor Horstmann einer von den Pseudophilosophen ist, die die sogenannte Wende dazu animiert hat, aus ihren Schlupflöchern zu kriechen. Mit seiner Schrift kann man sich im Grunde nicht auseinandersetzen. Man kann sie nur in die Mülltonne werfen. Wer diese Schrift dennoch liest, der sollte sie als nichts anderes als für ein Symptom für das nahe Ende der herrschenden Klasse betrachten, die die Menschheit rachsüchtig in den Sog ihres selbstverschuldeten Untergangs zu zerren sucht.

Gisela Elsner: Die Beseitigung der Probleme der Menschheit durch die Beseitigung der Menschheit. Südwestfunk, 17.03.1984.

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Mit seiner aberwitzig wirkenden Idee, die atomare Apokalypse gleichsam als universale Erlösungstat ins Werk zu setzen, hat Horstmann bislang keine öffentliche Empörung auslösen können. Der Autor jedenfalls glaubt zu wissen, weshalb: In der offenbaren Gemütsruhe seiner Zeitgenossen, die sorglos auf nuklearen Pulverfässern sitzen, drückt sich für ihn die geheime Bereitschaft zur lustvollen Selbstvernichtung aus – die Einsicht, „daß wir ein Ende machen müssen mit uns und unsresgleichen, so schnell und so gründlich wie möglich“. Bei den Kritikern hat Horstmann mit dieser Diagnose bislang kaum Anklang gefunden. In seinen rabiaten Endzeit-Szenarien, meint etwa der Heidelberger Publizist Hans-Martin Lohmann, habe sich Horstmann letztlich von der herrschenden „Gewalt korrumpieren lassen“. Weiter östlich, in der DDR, klang die Reaktion auf den „Untier“-Autor noch gereizter: „Wann Professor Horstmann seinen Nervenarzt zuletzt konsultiert“ habe, wollte das „Neue Deutschland“ wissen. Die Frage dürfte den Adressaten eher amüsiert haben. Was er von den Seelenärzten hält, schreibt er in einem SPIEGEL-Essay – er zählt sie zu den notorischen Feinden des „Zu-Ende-Denkens“.

Blutige Revue. In: DER SPIEGEL, 02.02.1987.

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Horstmanns Rede von der „anthropofugalen Perspektive“ will ausdrücklich nicht als Übertreibung oder ironisch-satirische Zuspitzung verstanden werden. Die Kritik tat sich schwer, dies zu akzeptieren, obwohl sich Horstmann im „Untier“ am Beispiel Emile Ciorans gegen die „Automatismen humanistischer Entstellung und Umdeutung“ verwahrt hatte. Es fällt offenbar schwer, eine Beschreibung des Untergangs nicht sofort als Warnung vor dem Untergang zu lesen. Selbst Verlage, bei denen Horstmanns Texte erscheinen, sind davor nicht gefeit: Anläßlich von „Schwedentrunk“ (1989) sprach einer seiner Verlage von „listiger Zeitkritik“ und brachte den Autor damit in die Nähe derer, die er stets meiden wollte. Horstmanns Zuspitzung hingegen besteht darin, die Apokalypse ohne Wenn und Aber als konsequenten Abschluß der Menschheitsgeschichte zu feiern.

Rainer Moritz: Artikel Ulrich Horstmann. In: Munzinger-Archiv 10/95.

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Ist Ulrich Horstmann noch zu retten? Als die Erstausgabe des „Untiers“ 1983 im Wiener Medusa-Verlag erscheint, ist ihr Autor gerade einmal vierunddreißig Jahre alt – ein akademischer Springinsfeld und Gelegenheitsliterat, der gerade seine Habilitationsschrift eingereicht hat und der sich nun mit einer freihändigen Kletterpartie für die Plackerei in den Wissenschaftsalpen belohnt. Was sich zu dieser Zeit in der Nebelkammer der Kreativität abgespielt hat, wissen wir nicht. Wir wissen nur, dass Horstmann über mehrere Jahre hinweg alles abgeheftet hatte, was er irgendwie für zweckdienlich hielt. Daran gemessen erscheint der Zeitraum, den die tatsächliche Niederschrift beanspruchte, bemerkenswert kurz: Es dauerte kaum länger als sechs Wochen, bis das Manuskript fertig gestellt war, auf dessen Seiten nichts Geringeres erschien als die Ankündigung der unmittelbar bevorstehenden Selbstabschaffung des „Untiers“ Mensch. (…) Das Stichwort für die im Nachwort vorgeschlagene Lesart (…) stammt von Michael Pauen und lautet „sekundärer Pessimismus“. Gegenüber der u. a. von Klaus Vondung („Die Apokalypse in Deutschland“) im Spiel gehaltenen Krisenhypothese, die den Pessimismus als Reaktion auf historische Defizienzerfahrungen erklärt, im selben Atemzug aber seine ästhetischen und rhetorischen Elemente vernachlässigt, lässt sich zeigen, dass Horstmanns Pessimismus eine Form der Inszenierung von Kritik und Kritiker ist, zu der die Ästhetisierung des Leidens, die Verwandlung von Grauen in Genuss und die Selbststilisierung des Kritikers gehören.

Frank Müller: Ulrich Horstmanns apokalyptischer Bestseller „Das Untier“ wird neu aufgelegt. In: literaturkritik.de, 7. Jahrgang, Nr. 12, Januar 2004, S. 173-175.